Der Tod von Barney Clark
Schon wieder heulen die Sirenen.
„Platz da, Platz, den Weg macht frei!“
Das Lichtsignal springt dir entgegen,
der Krankenwagen jagt herbei.
Ein jeder hält ein wenig inne,
denkt bang, „Was ist das Ziel der Fahrt?“,
denkt an die Liebsten, wünscht im Stillen,
sie seinen alle wohl bewahrt.
Allein Frau Clark, sie steht am Fenster,
wünscht die Sirene vor ihr Haus,
ihr Mann liegt wieder nah am Tode,
und bebend lauscht Frau Clark hinaus.
Sekunden werden ihr Minuten,
Minuten eine Ewigkeit.
Doch horch! Er naht, der Hoffnungston,
zuerst noch schwach und hell und weit.
Schon kommt der Wagen, Türen schlagen,
Helfer springen, kurze Fragen,
schnelle Hände bringen Tragen,
bringen Hilfe, Instrumente,
bringen Hoffnung. – Gute Wende?
Bange Stunden, schwere Tage,
endlich wendet sich das Glück.
Barney Clark, er ist gerettet,
zumindest für den Augenblick.
„Doktor De Vries“, fragt er voll Mut,
„der Augenblick, wie lang ist er?
Mein krankes Herz wird immer schwächer,
sind‘s Stunden, Tage oder mehr?“
Die Antwort kommt nach kurzem Schweigen,
sehr ruhig und in klarem Ton:
„Wir müssen uns nun bald entscheiden,
seit Wochen sprachen wir davon.
Das Kunstherz ist jetzt technisch reif,
ist gut erprobt von allen Seiten,
der Eingriff gründlich präpariert.
Ich steh bereit, wenn Sie entscheiden.“
In dieser Nacht liegt Clark voll Zweifel,
von wilden Schauern schwer gejagt.
Ihm dämmern fiebrig wilde Bilder,
ihn quält die Angst, er ist verzagt:
„Ich lebe nur noch wenige Tage,
mein Todesurteil ist gesprochen,
selbst wenn ich diesen Eingriff wage,
so leb ich höchstens ein paar Wochen.
Ach hab ich nicht genug erduldet!
Mein Körper ist schon arg geschunden.
Ach, all das Weh vergangner Leiden,
ach, all mein Weh der alten Wunden!
Ich möchte schlafen, ruhig scheiden.
Ach, Schicksal, ach, warum grad ich?
Gibt‘s keine Freude mehr für mich
und keinen Sinn
wofür ich bin? –
Ich sage nein,
lass alles sein,
schlafe nur ein.“
Doch horch, was regt sich? Stimmen sprechen,
Schritte eilen auf dem Gang.
„Was ist's, gilt dieser Aufruhr mir?“,
er ruft bestürzt und fragt es bang.
„Nur ruhig, nein, Sie können schlafen“,
so sagt man ihm in sanftem Ton:
„Es ward ein Junge eingeliefert,
wir hoffen nur, er kommt davon.“
„Ein krankes Herz und kaum zehn Jahre!
Was wird die Zukunft ihm noch geben?
Ein morscher Baum wie ich mag fallen,
doch dieser junge Spross muss leben,
hier muss man helfen, helfen lernen,
vielleicht ist‘s hier noch nicht zu spät.
Ich will es tun, komme was wolle,
Mein Körper teste das Gerät!
Für dieses Kind will ich es wagen,
wenn dann der Ärzte Kunst vermehrt,
so hilft es diesem jungen Leben.
Mein Leiden findet einen Wert.
Ein jeder stirbt und muss vergehen,
nur unsre Taten tragen weiter,
Taten die für andre stehen.
Ich werde tragen“, denkt er heiter.
Der Eingriff dauert sieben Stunden.
Das Ärzteteam greift Hand in Hand,
nach außen fühllos, doch im Innern
ist jeder völlig angespannt.
Das Kunstherz schlägt, doch keine Ruhe,
Clarks Lunge ist zu stark verletzt.
Ein Eingriff rettet, doch dann Krämpfe,
ein Teil des Herzens wird ersetzt.
Nach stürmisch abgelaufnen Tagen
kann Barney Clark nun doch genesen.
Er findet Ruhe, kann schon lächeln,
bald wieder trinken, essen, lesen.
Und morgen wird er sogar feiern,
ein Fest mit zweiundsechzig Kerzen.
Für all die frohen Gratulanten
kann Barney Clark schon wieder scherzen.
Am Abend spricht er ruhig, heiter:
„Ich lese, was sie von mir schreiben.
Sieh her, sie sagen, ich sei eigen
und wolle nur am Leben bleiben.
Der Fortschritt, sagen sie, sei schlecht;
zu teuer würden Menschenleben.
‚Ein Frevel‘, meinen sei erbost,
‚sein Herz Maschinen übergeben‘.
Geliebte Frau, ich habe Glück
und habe jetzt noch so viel Zeit,
viel Zeit und einen weiten Sinn,
und die Gedanken fliegen weit.
Ich seh die Menschen, die das schreiben,
es lesen und auch weitersagen.
Wie krank sind sie an Herz und Seele,
wenn sie nichts für die Zukunft wagen.
Ich dachte erst, mich braucht ein Kind,
man trug‘s vor Wochen schon zu Grabe,
jetzt seh ich erst, wie groß die Not,
dass ich Millionen Kinder habe.
Erwachsen, doch mit kleinen Seelen
und hoffnungsleeren, müden Leben.
Für sie will ich gesund erscheinen,
will kämpfen, ihnen Hoffnung geben.
Wenn so mein Glaube, felsenfest,
an Menschheitsfortschritt ohne Ende,
sich ihnen greifbar machen lässt,
dann eil ich freudig an mein Ende.“
Clarks Körper starb nach sechzig Tagen.
Sein Herz wird für uns weiterschlagen.
© Ralf Schauerhammer
Barney Clark wurde im Januar 1983 operiert und starb im März 1983. In den folgenden Jahren wurde das Kunstherz weiterentwickelt. Heute werden in Deutschland jährlich etwa 1000 Menschen mit einem Kunstherzen versorgt.