Ode auf eine griechische Urne

Unberührte Braut aus ruhevollen Zeiten,
Kind genährt in milden Breiten,
wie natürlich deine Fabel klingt,
die ein Märchen aus vergangnen Zeiten,
reich an Göttern, Menschen oder beiden,
unsern Sinnen sanft entgegenbringt!
Deine Form umjagt ein wildes Treiben:
Welche Jungfraun fliehen nach dem Hag?
Welche Götter? Menschen? Welches Sträuben?
Pfeifenklang und Trommelschlag.

Melodien, die dem Ohre klingen,
klingen süß, doch süßer singen
stumme Harmonien unserm Geist.
Nie verklingt der stumme Jugendreigen,
unter Bäumen grün mit frischen Zweigen,
nie verwelkt ihr und seid nie vergreist.
Schöner Jüngling, niemals wirst du küssen,
musst so nah dem Ziel der Wünsche stehn;
doch auf ewig bleibt sie nah zum Küssen,
ewig liebreich, ewig schön.

O ihr Bäume, eure grünen Zweige,
kennen nicht des Frühlings Neige,
ahnen nichts von Herbst und Dunkelheit.
Auch euch Musikanten will ich preisen,
spielt ihr doch mit immer neuen Weisen
freudig den Geliebten zum Geleit.
Schöne Liebe! Überglücklich bindet
dich der ewig ungenossne Kuss.
Ach, uns erdgebundnen Menschen schwindet
Leidenschaft schon im Genuss.

Wer erscheint, das Opfer zu bereiten?
Mysteriöse Priester schreiten
mit geschmückter Färse zum Altar.
Hoch zum Himmel tönt des Tieres Brüllen,
über eine kleine Stadt am stillen
See, behütet durch ein Türmepaar.
Und so menschenleer sind alle Straßen,
gläubig wallte jeder zum Gebet;
und warum die Stätte ganz verlassen,
keine Seele je verrät.

Schöne Anmut! Form vergangner Zeiten,
herrliche Unendlichkeiten
lockst du sacht hervor in Herz und Geist,
lässt durch deine Hirtenspiele sehen,
jedes Menschenalter neu verstehen,
was empor aus Sinnendrangsal weist,
lehrst, o Menschheitsfreund, dein stillen Wissen:
'Schönes wird zur Wahrheit, Wahres schön. -
Das ist alles, was wir wissen müssen,
alles, was wir je verstehn!'


Dieses ist eine Übertragung des Gedichtes Ode on a Grecian Urn von John Keats. Ich habe bewusst eine (meines Wissens) von Friedrich Schiller entwickelte Form gewählt, weil ich diese für den Inhalt passend finde. Das Gedicht fasziniert mich, weil Keats anhand der Betrachtung eines einfachen Gefäßes darstellt, wie wahre Schöne über Jahrhunderte hinweg fruchtbar werden kann, und immer wieder neue Schönheit gebiert. Möge ein wenig davon in dieser Übersetzung und in einigen vom meinen Gedichten enthalten sein!


© Ralf Schauerhammer



Das Original von John Keats

Ode on a Grecian Urn

Thou still unravished bride of quietness,
Thou foster-child of scilence and slow time,
Sylvan historian, who canst thus express
A flowery tale more sweetly than our rhyme:
What leaf-fringed legend haunts about thy shape
Of deities or mortals, or both,
In Tempe or the dales Arcady?
What men or gods are these? What maidens loth?
What mad pursuit? What struggle to escape?
What pipes and timbrels? What wild ecstasy?

Heard melodies are sweet, but those unheard
Are sweeter; therefore, ye soft pipes, play on;
Not to the sensual ear, but, more endeared,
Pipe to the spirit ditties of no tone:
Fair youth, beneath the trees, thou canst not leave
Thy song, nor ever can those trees be bare;
Bold Lover, never, never canst thou kiss,
Though winning near the goal - yet, do not grieve:
She cannot fade, though thou hast not thy bliss,
For ever wilt thou love, and she be fair!

Ah, happy, happy boughs! that cannot shed
Your leaves, nor ever bid the Spring adieu;
And, happy melodist, unwearièd,
For ever piping songs for ever new;
More happy love! more happy, happy love!
For ever warm and still to be enjoyed,
For ever panting, and for ever young -
All breathing human passion far above,
That leaves a heart high-sorrowful and cloyed,
A burning forehead, and a parching tongue.

Who are these coming to the sacrifice?
To what green altar, O mysterious priest,
Lead'st thou that heifer lowing at the skies,
And all her silken flanks with garlands dressed?
What little town by river or sea shore,
Or mountain-built with peaceful citadel,
Is emptied of this folk, this pious morn?
And, little town, thy streets for evermore
Will silent be; and not a soul to tell
Why thou art desolate, can e'er return.

O Attic shap! Fair attitude! with brede
Of marble men and maidens overwrought,
With forest branches and the trodden weed;
Thou, silent form, dost tease us out of thought
As doth eternity: Cold Pastoral!
When old age shall this generation waste,
Thou shalt remain, in midst of other woe
Than ours, a friend to man, to whom thou say'st,
'Beauty is truth, truth beauty, - that is all
Ye know on earth, and all ye need to know.'