Das Wetter spielte nicht ganz mit, es regnete, als sich die Mitglieder des Wiesbadener Poesiekreises „Dichterpflänzchen“ am Parkplatz beim Friedhof in Hallgarten einfanden, um auf den Spuren von Adam von Itzstein zu wandeln.
Dass der Ausflug am Friedhof begann hatte schon seinen Grund, denn hier liegt in einer gepflegten Grabanlage der Freiheitskämpfer Adam von Itzstein und dessen erste Frau Katharina, geborene Korbach, begraben.
Wer Adam von Itzstein war, welche Verdienste er sich erworben hatte und warum Hallgarten stolz auf diesen Mann sein kann, davon berichtete ein kleines Ausflugsprogramm, welches Lutz Schauerhammer und dessen Frau Martha während des Spaziergangs vortrugen.
Heute sind die Begriffe persönliche und politische Freiheit so selbstverständlich, dass man kaum noch in der Lage ist sich vorzustellen, wie um diese Freiheiten gekämpft werden musste. Der Kampf um bürgerliche Grundrechte, den Adam von Itzstein unterstützte und in Teilen Deutschlands anführte, fand vom Beginn der Französischer Revolution im Jahre 1789 bis zum ersten Parlament auf deutschem Boden, der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, im Jahr 1848 statt. Es ist ein Zeitraum ungeheurer gesellschaftlichen Umwälzungen in Europa, den Adam von Itzstein mitgestaltete.
Zum Glück bot das Vordach des kleinen Andachtsraums in der Nähe von Itzsteins Gedenkstätte auf dem Friedhof etwas Schutz vor dem Regen. Hier begann sodann auch die ehrende Spurensuche mit dem ersten Teil des Vortrags.
Sprecher-1:
Adam von Itzstein starb im Alter von 79 Jahren in Hallgarten, wo er auch begraben wurde. Auf der Rückseite seines Grabmales steht ein zeitgenössisches Urteil: "Müde von den Jugendkämpfen deutscher Freiheit ruhet hier ein mutig Herz".
Sprecher-2:
Kein schöner Tag, der 22. September 1844. Es regnet. Für Johann Adam Itzstein ist er dennoch einer der schönsten. In seiner Mannheimer Wohnung drängen sich die Gäste. Eine Delegation von Parlamentariern aus ganz Baden ist gekommen, um ihn zu ehren. Einen direkten Anlass gibt es nicht, aber der Festakt ist lange schon geplant: Eine goldene Gedenkmedaille wird überreicht, ein teures Stück, für das alle tüchtig gesammelt haben. Sie preist ihn als »Vertreter der Volksrechte«, als Beschützer der Freiheit und der Verfassung. Itzstein dankt mit einer kleinen Rede, großer Jubel. Dann folgt das Festbankett im Mannheimer Theatersaal, einige Hundert Gäste sitzen an den Tischen. Plötzlich erheben sie sich und stimmen zur Melodie der polnischen Hymne »Noch ist Polen nicht verloren« ein Lied an: das Itzsteinlied.
Itzsteins Freund Heinrich Hoffmann von Fallersleben hat es wenige Tage zuvor gedichtet: »Vaterland, freue dich! / Deine Nacht wird immer heller: / Itzstein, unser Stern, / leuchtet nah und fern.« - Alle folgenden Gedichte sind ebenfalls von Hoffmann von Fallersleben.
Rezitator:
Hoffmann von Fallersleben
Willkommen, Vater Itzstein
Füllt die Gläser bis zum Rande !
Brüder, stoßet an !
Denn es gilt dem Vaterlande,
gilt dem braven Mann.
Vaterland, freue dich !
Deine Nacht wird immer heller:
Itzstein, unser Stern,
leuchtet nah und fern.
Beide sind ja ungetrennet:
Wo man´ s deutsche Land
irgendwo auf Erden nennet,
ist auch er genannt.
Laßt uns streben, laßt uns streiten
auf der Freiheit Bahn,
fortgehen mit dem Geist der Zeiten.
So wie er´ s getan !
Laßt uns ohne Furcht und Bangen
trotz der Willkür Macht
treu an Recht und Wahrheit hangen,
so wie er´ s gemacht !
Laßt uns öffentlich besprechen
voller Männermut,
unsere Leiden und Gebrechen,
so wie er es tut !
Laßt uns sein in schlimmen Tagen
ehrenwert wie er,
einig sein und nicht verzagen,
standhaft sein wie er.
Füllt die Gläser bis zum Rande !
Brüder, stoßet an !
Denn es gilt dem Vaterlande,
gilt dem braven Mann.
Vaterland, freue dich !
Deine Nacht wird immer heller:
Itzstein, unser Stern,
leuchtet nah und fern.
(Geisenheim, 28. August 1844)
Sprecher-1:
Der 68-jährige Alterspräsident der Zweiten badischen Kammer steht im Zenit seiner Popularität. Landauf, landab in Baden erhält er Ehrenkronen, hängt sein Bild in Wirtshäusern neben dem des Großherzogs. Und der »Stern« Itzstein leuchtet weit über die badischen Grenzen hinaus in Deutschlands „Metternacht“. Er ist ein Leitbild der Liberalen und Demokraten im ganzen Reich. Vor allem aber verkörpert er eine Tradition, eine ungebrochene Kontinuität. Von den Tagen der Französischen Revolution, von der Mainzer Republik 1793 bis zum Hambacher Fest 1832 war er dabei, hat er in Deutschland für Freiheit und Menschenrechte gekämpft – und 1848 wird er noch zur Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche gehören.
Sprecher-2:
Ein Weg, der Adam von Itzstein kaum vorbestimmt war. Zwar hat schon der Vater auf das Adelsprädikat keinen Wert gelegt. Dennoch waren die Itzsteins nicht als Rebellen bekannt, sondern stellten seit Generationen treue Diener für den Kirchenstaat Kurmainz.
Der Vater, Hofgerichtsdirektor, zählt zur vermögenden Beamtenschaft. Adams Mutter, Anna Maria Kerz, ist des Vaters zweite Frau, die erste starb früh. Die 15 Kinder aus den beiden Ehen – Adam, am 28. September 1775 in Mainz geboren, ist das vorletzte – werden spartanisch erzogen. Noch als Student sind Wein oder Tabak tabu für ihn, das Taschengeld bleibt karg bemessen.
Nach Domschule und höherer Lehranstalt bleibt er zum Jurastudium in Mainz. Die Universität der Residenzstadt gilt als eine der aufgeklärtesten katholischen Hochschulen im Reich.
Schon bei Itzsteins Studienbeginn 1792 rumort es an der Hochschule. Es ist Krieg zwischen dem Reich und den revolutionären Franzosen, und die Studenten halten zu den herannahenden »neufränkischen« Truppen. Sie tragen die blau-weiß-rote Kokarde und prügeln sich mit adligen Emigranten. Itzsteins Lehrer, der Philosophieprofessor Andreas Joseph Hofmann, prophezeit vom Katheder herab den baldigen Sieg der Revolution. Ironie der Geschichte: Einer der Kommilitonen ist Graf Klemens Wenzel von Metternich. Er sollte später, als allmächtiger Staatskanzler in Wien, zu Itzsteins großem Gegner werden.
Sprecher-1:
Als die Franzosen im Herbst 1792 Mainz einnehmen, beginnt für den gerade 17 Jahre alten Itzstein eine bewegte Zeit. Im verwaisten kurfürstlichen Schloss versammeln sich zwanzig Mainzer zur Gründung einer »Gesellschaft der Freunde der Freyheit und Gleichheit«, auch Itzstein wird Mitglied. In den Reden dort, in einer Flut von Schriften und den ersten freien Zeitungen bricht sich die demokratische Stimmung Bahn. Höhepunkt der Entwicklung sind im Februar und März 1793 die Wahlen zum Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent, dessen Deputierte Itzsteins Lehrer Hofmann zum Präsidenten bestimmen. Am 18. März 1793 ruft dieser vom Balkon des Deutschhauses am Rhein (heute Sitz des rheinland-pfälzischen Landtags) den Freistaat aus, die erste moderne Republik auf deutschem Boden.
Sprecher-2:
Dem Mainzer Experiment ist nur eine kurze Frist beschieden. Als preußische Truppen wenige Wochen später die Stadt belagern, flieht Itzstein samt Eltern und Geschwistern auf das Gut Hallgarten im Rheingau, das der Familie gehört und das später sein Hauptwohnsitz wird. Die Preußen siegen, Itzstein indes bleibt unbehelligt, beendet das Studium und beginnt 1797 im kurmainzischen Amorbach als Verwaltungsjurist seine Laufbahn.
1804 heiratet er im französisch annektierten Koblenz Katharina Korbach, eine Ehe, aus der zwei Kinder hervorgehen werden, eine Tochter und ein (früh verstorbener) Sohn.
Doch da ist die französische Republik schon Geschichte. 1804 krönt sich General Bonaparte zum Kaiser der Franzosen. Die jungen Demokraten hassen seinen Verrat an der Freiheit.
Sprecher-1:
Itzstein, inzwischen in badischen Diensten, kommt für zehn Jahre als Oberamtmann nach Schwetzingen bei Heidelberg im Großherzogtum Baden. Baden verfügt seit 1818, von Napoleons Gnaden, über eine Verfassung und einen Landtag mit zwei Kammern. Die wichtigere Zweite Kammer versammelt gebildete und besitzende Männer des Bürgertums, die zwar selbst keine Gesetze einbringen können, dafür jedoch das Recht haben, die Steuern und das Budget der Regierung zu bewilligen. Das ist mehr als in anderen deutschen Ländern.
Beim Wahlkampf zum Landtag unterstützt Itzstein mit Feuereifer die Opposition. Die Regierung schiebt den politisierenden Beamten als Hofrat nach Mannheim ab. Zum Glück für Itzstein, denn erst hier, in der freien Atmosphäre dieser Stadt, kann er sich entfalten. Itzstein wird zum Oberhaupt der badischen Liberalen. Bei den nächsten Wahlen 1822 zieht er selbst als Abgeordneter der Stadt Mannheim in die Zweite Kammer ein.
Sprecher-2:
Gleich in seiner ersten Legislaturperiode fügt er der Regierung eine empfindliche Niederlage zu: Auf seine Initiative hin lehnt eine knappe Mehrheit eine Steigerung des Militärbudgets ab. Warum auch sollten Steuern erhöht werden, wenn die Bevölkerung zunehmend verarmt?
Die konservative Regierung reagiert brachial; sie löst die Kammer auf. »Rädelsführer« Itzstein wird ans Hofgericht in Meersburg am Bodensee versetzt. Doch er wehrt sich juristisch gegen die Abschiebung. Er erhält Hausarrest, wird bespitzelt, sozial geächtet. Nur wenige getrauen sich noch, mit der Persona non grata gesehen zu werden.
Die französische Julirevolution 1830 kommt Itzstein zugute. Der neue Großherzog Leopold I. ermöglicht in Baden 1831 freie Wahlen, und Itzstein zieht erneut in die Zweite Kammer ein.
Sprecher-1:
Sein rhetorisches Talent beeindruckt. »Spricht er zum Volke, so bewegt er sich nicht in phantasiereicher Rede, sondern er spricht klar, gemeinfasslich und verständlich, die Rede könnte in dem elegantesten Salon wie in der räucherigsten Hütte vorgetragen werden«, so porträtiert Hoffmann von Fallersleben den Freund. Unter seiner Führung bringt die Kammer mehrere Reformgesetze auf den Weg: Ein modernes Kommunalrecht und eine Zivilprozessordnung werden eingeführt. Sein Programm orientiert sich an der Französischen Revolution; Menschenrechte sind alles, statt Zensus fordert er ein gleiches und allgemeines Wahlrecht.
Am 27. Mai 1832 zieht er in der Pfalz mit Zehntausenden zum Hambacher Schloss hinauf. Gemeinsam mit französischen und polnischen Patrioten lassen sie die Zukunft hochleben: ein freies Deutschland in einem freien Europa. Das Hambacher Fest wird zur ersten demokratischen Großkundgebung der deutschen Geschichte.
Sprecher-2:
Just in dieser Zeit trifft Itzstein 1833 ein Schicksalsschlag. Mitten in einer Kammersitzung erfährt er von der schweren Erkrankung seiner Frau. Er reist sofort nach Hallgarten; kurz nach der Ankunft stirbt sie in seinen Armen. Erst viel später wird er noch einmal eine Gefährtin finden, aber nicht heiraten. Da Itzsteins Nachlass verloren ging, blieb von ihr nur der Name überliefert: Louise Pfister. Sie begleitete ihn bis an sein Lebensende und unterstützte ihn in seinem politischen Kampf.
Weiterhin wird er überwacht. Metternichs Spitzel registrieren jeden Schritt und jeden Artikel, den er schreibt. Der Staatskanzler hat längst erkannt, dass er in Itzstein einen überlegten, hintergründig operierenden Strategen zum Gegner hat. Hellsichtig und fast respektvoll nennt er ihn den ersten »eigentlich praktischen Radikalen«.
1834 schlossen sich, auf Initiative Preußens, die meisten Staaten zum Deutschen Zollverein zusammen. Ein Zusammenschluss aus wirtschaftlichen und nicht aus politischen Gründen. Er war ein erster roßer Verbund der vielen Einzelstaaten und reichte „von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt“, wie es in der ersten Strophe des „Liedes der Deutschen“ von Hoffmann von Fallersleben heißt.
Rezitator:
Hoffmann von Fallersleben
Der deutsche Zollverein
Schwefelhölzer, Fenchel, Bricken,
Kühe, Käse, Krapp, Papier,
Schinken, Scheren, Stiefel, Wicken,
Wolle, Seife, Garn und Bier;
Pfefferkuchen, Lumpen, Trichter,
Nüsse, Tabak, Gläser, Flachs,
Leder, Salz, Schmalz, Puppen, Lichter,
Rettig, Rips, Raps, Schnaps, Lachs, Wachs.
Und ihr anderen deutschen Sachen,
tausend Dank sei euch gebracht !
Was kein Geist je konnte machen,
Ei, das habet ihr gemacht:
Denn ihr habt ein Band gewunden
um das deutsche Vaterland,
und die Herzen hats verbunden
mehr als unser Bund dies Band.
Sprecher-1:
Tatsächlich will Itzstein die Opposition sammeln und formieren, will engagierte Demokraten und ewig zögernde Liberale zusammenbringen. Er schreibt für den radikaldemokratischen Rheinischen Postillon in Mannheim. Im gleichen Verlag veröffentlicht Itzstein 1838 unter dem Pseudonym „W. Deutschmann“ die Schrift „Die Radical-Reform des Staats- und Privatrechtes“. Das über 300 Seiten starke Buch lässt in seiner Kritik an den Missständen im Land, aber auch an allzu lauen Liberalen wenig zu wünschen übrig und wird prompt vom Bundestag verboten.
Einmal mehr preist Itzstein die Bedeutung des freien Worts: »Ohne Preßfreiheit gibt es gar keinen wahren Staat, sondern bloß einen großen Volkskerker, den einzelne Bevorrechtigte nach Belieben öffnen und schließen können.«
Rezitator:
Hoffmann von Fallersleben
Das Lied der Freiheit
Es lebe, was auf Erden
nach Freiheit strebt und wirbt
von Freiheit singt und saget,
für Freiheit lebt und stirbt.
Die Welt mit ihren Freuden
ist ohne Freiheit nichts
die Freiheit ist die Quelle
der Tugend und des Lichts.
Es kann, was lebt und webet
in Freiheit nur gedeihn.
Das Ebenbild des Schöpfers
kann nur der Freie sein.
Frei will ich sein und singen,
so wie der Vogel lebt,
der auf Palast und Kerker
sein Frühlingslied erhebt.
Die Freiheit ist mein Leben
und bleibt es immerfort,
mein Sehnen, mein Gedanke,
mein Traum, mein Lied und Wort.
Es lebe, was auf Erden
nach Freiheit strebt und wirbt,
von Freiheit singt und saget,
für Freiheit lebt und stirbt.
Fluch sing ich allen Zwingherrn,
Fluch aller Dienstbarkeit!
Die Freiheit ist mein Leben
und bleibt es alle Zeit.
(Ende des ersten Teils)
Jetzt war es für die Gruppe an der Zeit aufzubrechen und zum ehemaligen Wohnsitz von Adam von Itzstein zu gehen. Ganz in der Nähe liegt das wunderschön erhaltene Gebäude mit freiem Blick über das Rheintal. Es ist dem jetzigen Besitzer zu verdanken, dass dieses historische Anwesen so großartig erhalten ist und somit auch künftigen „Spurensuchern“ eine Augenweide sein wird.
Auf dem Weg dorthin machten die Dichterpflänzchen einen kurzen Besuch in der katholischen Marienkirche. Die Türen waren offen und so konnten alle einen Blick auf die Hallgartener Madonna werfen. Diese schöne Figur der Mutter Gottes trägt das Jesuskind auf dem Arm, das eine Traube festhält. Maria hält in der rechten Hand ein Weinglas (Scherben).
Die Figur entstand etwa um 1420 und steht in enger Verbindung zu dem Beruf der Schröter, die sie als Schutzpatronin, deswegen wird sie auch Schröter-Madonna genannt, anriefen. Die Schröter waren die Männer, die die schweren Weinfässer aus den Kellern holten.
Mit einer kleinen Runde um den Wohnsitz und den nahe gelegenen Weinberg schloss der Ausflug wieder am Friedhof angekommen, ab.
Hier wurde der zweite Teil des Vortrages präsentiert.
Sprecher-2:
Aber nicht nur über Zeitschriften, auch ganz direkt knüpft Itzstein sein Netzwerk. Das rund zehn Hektar große Gut Hallgarten, am Fuß des Taunus oberhalb des Rheintals gelegen, wird in dieser Zeit zu einem Versammlungsort der Opposition. Man diskutiert, stimmt sich ab, stellt neue Mitstreiter vor. Der »Hallgartener Kreis« umfasst rund 30 bis 40 Politiker aus ganz Deutschland, Liberale wie Friedrich Daniel Bassermann und Heinrich von Gagern ebenso wie die Demokraten Johann Jacoby, Robert Blum und Friedrich Hecker. Und gewiss hat auch Itzsteins Mainzer Lehrer Hofmann von seinem Alterssitz im benachbarten Weindorf Winkel aus Anteil genommen.
Die Zusammenkünfte in Hallgarten waren keine Parlamentarierkonferenzen modernen Stils. Sie waren vor allem gesellige Veranstaltungen und dienten einem Sichkennenlernen. Aber das gemeinsame Mahl oder ein Trinkgelage wurde schnell zum Ort der Debatte, der Stehgreifrede und der Trinksprüche mit patriotischer Tendenz. Aus einem gemeinsamen Festessen wurde ein "Zweckessen".
Rezitator:
Hoffmann von Fallersleben
Herbstlied eines Chinesen
Wir sind nicht reif !
Das ist das Lied, das sie gesungen haben
jahrhundertelang uns armen Waisenknaben
womit sie uns noch immer beschwichten
des Volkes Hoffen immer vernichten
den Sinn der Besseren immer betören
und unsere Zukunft immer zerstören
Wir sind nicht reif?
Reif sind wir immer, reif zum Glück auf Erden
wir sollen glücklicher und besser werden
Reif sind wir, unsere Leiden zu klagen
reif sind wir, unsere Wünsche zu sagen
Reif sind wir, euch nicht mehr zu ertragen
reif, für die Freiheit alles zu wagen!
(1841 Aus der Sammlung „Unpolitische Lieder II“)
Sprecher-1:
Die Mitglieder verfolgten klare und konkrete Ziele. In den verschiedenen Landesparlamenten sollten gleichzeitig, themengleiche Anträge (Pressefreiheit, usw..) gestellt werden. Die letzte Hallgartener Tagung nach 1846 forderte die Gründung einer Unterstützungskasse für verfolgte Patrioten in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten.
Je näher die Märztage des Jahres 1848 rückten, auf die der Hallgartener Kreis seit Jahren hingearbeitet hatte, umso deutlicher wurde die Spaltung der liberalen Bewegung in einen gemäßigten und einen radikalen Flügel. Seit 1846 bekam die linksliberale, radikale republikanische Richtung unter Friedrich Hecker und Robert Blum in Hallgarten ein deutliches Übergewicht. Eine Tatsache, die den preußischen Innenminister dazu veranlasste, Hallgarten als einen Tagungsort von "Häuptern der Radikalen" zu bezeichnen.
Rezitator:
Hoffmann von Fallersleben
Knüppel aus dem Sack
Von all den Wüschen auf der Welt
nur einer mir anjetzt gefällt
KNÜPPEL AUS DEM SACK !
Und gäbe Gott mir Wunschesmacht,
ich dächte nur bei Tag und Nacht
KNÜPPEL AUS DEM SACK !
Dann braucht ich weder Gut noch Gold,
ich machte mir die Welt schon hold
mit: KNÜPPEL AUS DEM SACK !
Ich wär ein Sieger, wär ein Held,
der erst´ und beste Mann der Welt
mit: KNÜPPEL AUS DEM SACK !
Ich schaffte Freiheit, Recht und Ruh,
und frohes Leben noch dazu
beim: KNÜPPEL AUS DEM SACK !
Und wollt ich selbst recht lustig sein,
so ließ ich tanzen groß und klein
beim: KNÜPPEL AUS DEM SACK !
Oh, Märchen, würdest Du doch wahr,
nur einen einzigen Tag im Jahr
KNÜPPEL AUS DEM SACK !
Ich gäbe drum, ich weiß nicht was,
und schlüge drein ohn´Unterlaß
KNÜPPEL AUS DEM SACK !
Aufs Lumpenpack! Aufs Hundepack!
(Aus der Sammlung Unpolitische Lieder I)
Sprecher-1:
Ein besonderer Coup gegen Metternich gelangt den Hallgartenern mit der Veröffentlichung geheimer Beschlüsse des Deutschen Bundes. Die Dokumentensammlung, die ihnen ein indiskreter Diplomat à la WikiLeaks zuspielte, wurde zum Bestseller. Nicht weniger als 16 Druckfassungen erschienen zwischen 1843 und 1848 in Deutschland, den USA und in Frankreich.
Sprecher-2:
Die Opposition wächst weiter an. 1847 treffen sich an die 20 Parlamentarier in Heppenheim. Jetzt geht es schon um ein gesamtdeutsches Parlament. Itzstein ist dabei und vermittelt, wie auch Anfang März 1848 bei einem ähnlichen Treffen, zu dem er Politiker aller Couleur nach Heidelberg einlädt. Die »Heppenheimer Versammlung« und die »Heidelberger Tagung« sind Meilensteine auf dem Weg nach Frankfurt.
Bis in die Anfangszeit der Revolution von 1848 reicht Itzsteins integrative Kraft. Als schon gleich im Frankfurter Vorparlament, zur Wahl der Nationalversammlung, die Debatte »Monarchie oder Republik?« das Plenum zu spalten droht, gelingt es Vizepräsident Itzstein, die Wogen zu glätten. Ohnehin war die parlamentarische Demokratie für ihn nur noch eine Frage der Zeit.
Rezitator:
Hoffmann von Fallersleben
Ein neues Lied aus meiner Zeit
Ein politisch Lied, ein garstig Lied,
so dachten die Dichter mit Goethen
und glaubten, sie hätten genug getan,
könnten sie girren und flöten !
Von Nachtigallen, von Lieb und Wein,
von blauen Bergesfernen
von Rosenduft und Lilienschein,
von Sonne, Mond und Sternen
doch anders dachte das Vaterland,
das will von der Dichterinnung
keinen verbrauchten Leiertand,
und keine biedere Gesinnung
Ein politisch Lied, ein garstig Lied...
Ich sang nach alter Sitt und Brauch
von Mond und Sterne und Sonne
von Wein und Nachtigallen auch,
von Liebeslust und Wonne.
Da rief mir zu das Vaterland,
Du sollst das Alte lassen
den alten verbrauchten Leiertand,
du sollst die Zeit erfassen
Ein politisch Lied, ein garstig Lied....
Denn anders geworden ist die Welt,
es leben andere Leute
was gestern noch stand, schon heute fällt,
was gestern nicht galt, gilt heute.
Und wer nicht die Kunst in unserer Zeit,
weiß gegen die Zeit zu richten
der werde nun endlich beizeiten gescheit
und lasse lieber das Dichten.
Ein politisch Lied, ein garstig Lied,
so dachten die Dichter mit Goethen
und glaubten, sie hätten genug getan,
könnten sie girren und flöten !
(1842 Sammlung „Deutsche Lieder aus der Schweiz“)
Sprecher-2:
Als die Nationalversammlung im Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zusammentritt, zählt Itzstein bereits 72 Jahre. Im Parlament spielt er keine führende Rolle mehr, wenngleich seine Meinung Gewicht hat. Er gehört zur Fraktion der gemäßigten Linken und versucht weiterhin, ausgleichend zu wirken und zu vermitteln. Itzstein bleibt bis zum bitteren Ende, bis zur Auflösung des Parlaments im Juni 1849 auf seinem Posten.
Ein zweites Mal, wie 1793 in Mainz, muss er vor den preußischen Truppen fliehen – und vor der preußischen Terrorjustiz. Während seine Lebensgefährtin Louise in Hallgarten zurückbleibt, geht er über die Grenze und findet Asyl in der Schweiz.
Die Kunde vom Schicksal des alten Politikers macht unter den Exilanten die Runde. Im fernen Amerika erfährt Hecker davon. Gleich lädt er ihn ein, nachzukommen. Doch Itzstein hat nicht mehr die Kraft, ein Schiff nach New York zu besteigen. Erst Ende September 1850 kann er – aus inzwischen elsässischem Exil – nach Hallgarten heimkehren. Die badische Kammer indes, längst auf Linie gebracht und in alter Devotion erstarrt, schließt den Geächteten offiziell aus; auch sein Bürgerrecht verliert er.
Rezitator:
Hoffmann von Fallersleben
Nein und Ja
Verneinend ist und bleibt mein Streben
zu allem Schlechten sag ich: nein !
Ich sag’s und sing’s mein ganzes Leben
und sollt‘ ich mich zu Tode schrei’n.
Könnt ihr dereinst d e n Tag mir zeigen,
wo Recht und Freiheit wieder da,
so will ich gern von selber schweigen,
und wenn ich spreche, sprech ich: ja !
Sprecher-2:
Die Strapazen der Flucht haben den 75-Jährigen gezeichnet, zudem macht sich in den allerletzten Lebensjahren Demenz bemerkbar. Kurz vor seinem 80. Geburtstag stirbt er, am 14. September 1855. Auf dem Hallgartener Friedhof wird er beigesetzt.
"Die persönliche Freiheit ist das kostbarste Gut des Bürgers", erklärte Adam von Itzstein. Und wer will, kann hier mit einem Glas Adam-von-Itzstein-Wein der Hallgartener Winzergenossenschaft auf Vater Itzstein anstoßen und jenen langen Weg bedenken vom Mainzer Freiheitsklub über das Hambacher Fest bis zur National Versammlung in der Paulskirche.
(Ende des Vortrags)
Hier unterbrachen die Dichterpflänzchen, wieder an Itzsteins Grab anglangt, den Vortrag und öffneten zwei Flaschen Itzstein-Sekt, füllten die Gläser und tranken einen Schluck - nach den Zeilen des Itzsteinliedes - auf das Wohl des Freiheitskämpfers, auf alle Mitgliedern seines Hallgartener Kreises und seinen Freund Hoffmann von Fallersleben an.
Willkommen, Vater Itzstein
Füllt die Gläser bis zum Rande!
Brüder, stoßet an!
Denn es gilt dem Vaterlande,
gilt dem braven Mann.
Vaterland, freue dich!
Deine Nacht wird immer heller:
Itzstein, unser Stern,
leuchtet nah und fern.
Quellenangaben:
Verwendung für den Vortrag fanden Beiträge von Herrn Josef Rosskopf
http://www.hallgartener-wein.de/de/adam-von-itzstein.htm
http://www.hallgartener-wein.de/de/adam-von-itzstein2.htm
und von Herrn Jörg Schweigard
http://www.zeit.de/2012/29/Itzstein
Portraits: Adam von Itzstein (Wikipedia), Hoffmann von Fallersleben (wikimedia)
Fotos: Dichterpflänzchen e.V.