Es ist alles Eitel
Du siehst, wohin du siehst, // nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, // reißt jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn // wird eine Wiese sein,
auf der ein Schäferskind // wird spielen mit den Herden.
Was itzund prächtig blüht, // soll bald zertreten werden.
Was itzt so pocht und trotzt, // ist morgen Asch und Bein.
Nichts ist, das ewig sei, // kein Erz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an, // bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Thaten Ruhm // muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit // der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß // was wir vor köstlich achten/
Als schlechte Nichtigkeit // als Schatten/ Staub vnd Wind;
Als eine Wiesen-Blum // die man nicht wider find’t.
Noch wil was ewig ist // kein einig Mensch betrachten!
Andeas Gryphius
Die Verszeile des Alexandriners ist ein sechshebiger Jambus, wobei nach dem dritten Versfuß eine Zäsur stehen muss – im obigen Gedicht durch // markiert.
Wahrscheinlich stamm der Name des Verses von dem in diesem Metrum Ende des 12. Jahrhunderts geschrieben "Alexander-Roman".
Der Alexandriner kommt aus Frankreich und war der Renaissance-Zeit sehr weit verbreitet. Die Tragödien und Dramen der französischen Klassiker, von Pierre Corneille, Racine, Moliere und selbst noch von Victor Hugo im 19. Jahrhundert, sind in paarreimigen Alexandrinern geschrieben.
Im Barock kam der Alexandriner nach Deutschland, trat jedoch sehr bald in den Hintergrund, vor allem weil sich bei Theaterstücken, initiiert durch Gotthold Ephraim Lessing, der Blankvers nach Shakespeares Vorbild durchsetzte.
Als Johann Wolfgang Goethe Voltaires Stück "Mahomet" in Deutsche übertrug, nutzte er den Alexandriner, worauf Friedrich schieb: "Die Eigenschaft des Alexandriners, sich in zwei gleiche Hälften zu trennen, und die Natur des Reims, aus zwei Alexandrinern ein Couplet zu machen, bestimmen nicht bloß die ganze Sprache, sie bestimmen auch den inneren Geist dieser Stücke, die Charaktere, die Gesinnung, das Betragen der Personen. Alles stellt sich dadurch unter die Regel des Gegensatzes, und wie die Geige des Musikanten die Bewegungen der Tänzer leitet, so auch die zweischenklige Natur des Alexandriners die Bewegungen des Gemüts und der Gedanken. Der Verstand wird ununterbrochen aufgefordert und jedes Gefühl, jeder Gedanke in dieser Form wie in das Bette des Prokustes gezwängt".
In einem Distichon schrieb Schiller über den von ihm offensichtlich nicht sehr geschätzten Alexandriner:
"In das Gewölk hinauf sendet mich nicht mit Jupiters Blitzen,
Aber ich trag euch dafür ehrlich zur Mühle den Sack."
Schiller steht mit seiner Auffassung nicht allein. Auch Hans Magnus Enzensberger stellte bei der Übersetzung von Molieres "Menschenfeind" fest, dass "der Alexandriner im Deutschen nicht für das Theater taugt." Das hänge mit der "syntaktischen Struktur unserer Sprache zusammen, die sich den Symmetrieforderungen dieses Versmaßes widersetzt."
Heute wird der Alexandriner kaum noch verwendet und wirkt eher komisch, als erhaben, was jedoch nicht ausschließt, dass man diese Form für bestimmte Zwecke nutzen kann, z.B. wenn ein kühler und stabiler Gemütszustand ausgedrückt werden sollt.
© Ralf Schauerhammer
Die Rache
Der Knecht hat erstochen den edlen Herrn,
der Knecht wär selber ein Ritter gern.
Er hat ihn erstochen im dunklen Hain
und den Leib versenket im tiefen Rhein.
Hat angelegt die Rüstung blank,
auf des Herren Ross sich geschwungen frank.
Und als er sprengen will über die Brück,
da stutzt das Ross und bäumt sich zurück.
Und als er die güldenen Sporen ihm gab,
da schleudert's ihn wild in den Strom hinab.
Mit Arm, mit Fuß er rudert und ringt,
der schwere Panzer ihn niederzwingt.
Diese Ballade von Ludwig Uhland ist das kürzeste Gedicht dieser Form, welches ich kenne.
Balladen sind kleine Dramen. In diesen Dramen ist der Leser, bzw beim Vortrag der Sprecher, alles. Er ist Bühnenbildner, Kostümbildner, Beleuchter, Tontechniker und Darsteller der einzelnen Rollen.
Ganz stimmt diese Charakterisierung nicht, denn es tritt in fast allen Balladen noch ein Erzähler neben die Darsteller, was im Drama normalerweise nicht der Fall ist. Des Weiteren hat Balladen auch ein lyrisches Moment, viele Balladen könnten geradezu Lieder sein und im englischen Sprachraum wird das Wort "ballad" sogar für den Text von Songs verwendet.
Deshalb ist wohl Johann Wolfgang Goethes Charakterisierung der Ballade als "lebendiges Urei der Poesie" am treffendsten, weil sich in dieser Gedichtform alle drei Grundelemente der Poesie, das Dramatische, Epische und Lyrische, vereinen. Bei verschiedenen Balladen kann jeweils eines der Elemente im Vordergrund stehen, aber dennoch müssen alle drei in einer Ballade vorhanden sein.
Erste Dokumente von Balladen in Deutschland stammen aus den 15. Jahrhundert. Aber diese waren so selten, dass z.B. Opitz die Ballade noch nicht als Gattung aufführte. Die Ballade, wie wir sie heute kennen kam erst Ende des 18. Jahrhunderts aus England und Frankreich auch nach Deutschland, und zwar vor allem durch Johann Gottfried Herder und Gottfried August Bürger, welche die von Thomas Percy gesammelten "Reliques of Ancient English Poetry" im deutschen Sprachraum bekannt machten und nachahmten. Dabei war für die Entwicklung dieser Form in Deutschland sicher die Ballade "Leonore" ausschlaggebend, die Bürger 1773 veröffentlichte.
Kurz darauf schufen Goethe und Schiller im sogenannten "Balladenjahr" 1797 die berühmtesten, "klassischen" deutschen Balladen, "Der Gott und die Bajadere", "Der Zauberlehrling", "Der Schatzgräber", "Legende", und "Der Taucher", "Der Handschuh", "Der Ring des Polykrates", "Ritter Toggenburg", "Die Kraniche des Ibykus" und "Der Gang nach dem Eisenhammer". Nach der Romantik, in der noch Balladen in volksliedhafter Formen geschrieben wurden, entstanden kaum noch Balladen und als gegen Ende des 19. Jahrhundert die "Moderne" und der "Naturalismus" aufkam, galt die Ballade für eine Zeit als überflüssige und veraltete Form.
Ein Kreis von Dichtern (Münchhausen, Miegel, Strauß und Torney) versuchten mit geringem Erfolg der Balladenform zu beleben. Fast gleichzeitig wurde der Ballade in der Form des Bänkelgesangs von Frank Wedekind (Der Tantenmörder) und später von Bertholt Brecht neues Leben eingehaucht, welches später Songs von Liedermachern wie Wolf Biermann und Franz Josef Degenhardt zum Vorbild dienten. Obwohl inzwischen auch die große Zet dr Liedermacher vorbei ist, wird immer noch das "Urei" der Poesie bebrütet, und es entstehen bisweilen schöne Balladen.
© Ralf Schauerhammer
Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande;
Ihn schlugen die Häscher in Bande.
,,Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!“
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
,,Die Stadt vom Tyrannen befreien!“
,,Das sollst du am Kreuze bereuen.“
Friedrich Schiller, erste Strophe von "Die Bürgschaft"
Wenn man Schillers Gedicht "Die Bürgschaft" vorträgt, dann spürt man, wie die Erzählung immer mehr Fahrt aufnimmt. Diese Dynamik wird nicht nur von dem spannenden Inhalt erzeugt, sondern die Strophenform hat großen Anteil daran. Die siebenzeilige Strophe, welche Schiller erfand und für dieses Gedicht nutzte, erzeugt durch den Wechsel der Hebungen und Kadenzen zwischen den Zeilen eine Spannung, welche sich für Balladen gut eignet. Erstaunlicherweise haben andre Dichter diese Form nicht aufgegriffen. Ich möchte sie trotzdem vorstellen, weil es die Form eines der bekanntesten deutschen Gedichte ist und weil sie mir so gut gefällt.
Die Anzahl der Hebungen pro Zeile wechselt zwischen vier und drei Hebungen, die erste, vierte und fünfte Zeile hat vier Hebungen und männliche Kadenz die zweit und dritte, sowie die sechste und siebte haben drei Hebungen und weibliche Kadenz. Es kommen drei Reime vor, und zwar einer für die vierhebigen Zeilen, und zwei Paarreime für die zweite und dritte, bzw. sechste und siebte Zeile mit weiblicher Kadenz.
Das Metrum ist anapästisch, wobei an vielen Stellen nur eine Senkung vorkommt. Die beiden Schlusszeilen brauchen jedoch durchgängig zwei Senkungen zwischen den Hebungen und ergeben so einen markanten Strophenabschluss. In der eingangs zitierten Strophe erzeugt der Name "Damon" in der zweiten Zeile eine Tonbeugung, d.h. in dieser Zeile fehlt ausnahmsweise der Auftakt.
© Ralf Schauerhammer
Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Dass ihn der Mann in Osten darum nie
Vom Finger ließ; und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem geliebtesten;
Und setzte fest, dass dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sei; und stets der liebste,
Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde.
Beginn der "Ringparabel" aus "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing, veröffentlicht 1779.
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten heil’gen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Göttin stilles Heiligtum,
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Als wenn ich sie zum ersten Mal beträte,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher…
Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang Goethe
O, könnte die Beredsamkeit von allen
Den Tausenden, die dieser großen Stunde
Teilhaftig sind, auf meinen Lippen schweben,
Den Strahl, den ich in diesen Augen merke,
Zur Flamme zu erheben! Geben Sie
Die unnatürliche Vergöttrung auf,
Die uns vernichtet! Werden Sie uns Muster
Des Ewigen und Wahren! Niemals – niemals
Besaß ein Sterblicher so viel, so göttlich
Es zu gebrauchen. Alle Könige
Europens huldigen dem spanischen Namen.
Gehn Sie Europens Königen voran.
Ein Federzug von dieser Hand, und neu
Erschaffen wird die Erde. Geben Sie
Gedankenfreiheit. –
Marquis von Posa zu König Philipp in "Don Carlos" von Friedrich Schiller
Der Blankvers besteht aus Zeilen im fünfhebigen Jambus, er ist reimlos. Kadenzen können flexibel gesetzt werden, was ihm in Verbindung mit Enjambements sehr wandlungsfähig macht. Das zeigen die drei einleitenden Beispiele: In Lessings "Nathan" fließt er episch erzählen, in Goethes "Iphigenie" klingt er lyrisch erhaben und in Schillers "Don Carlos" wirkt er spannungsreich, fast stoßend, dynamisch.
Nach Deutschland kam der Blankvers aus England, wo er von Christopher Marlowe und vor allem von Shakespeare verwendet wurde. Für die Aufnahme in Deutschland war Lessings "Nathan" entscheidend und wirke wie eine Initialzündung. Goethe schrieb seine bereits in Prosa fertige "Iphigenie" in ein Blankvers-Drama um und Schiller seinen "Don Carlos". Das hatte sicher damit zu tun, dass Goethe und Schiller große Verehrer Shakespeares waren. Schiller wollte ursprünglich Oden-Dichter werden und wurde durch Shakespeare zum Dramatiker, und Goethes Hochachtung für Shakespeare wird in verschieden seiner Schriften, z.B. seiner Rede zum Shakespeare-Jahr deutlich.
Über die Verehrung von Shakespeare hinaus, sahen sie einen tiefen ästhetischen Grund für die Verwendung des Blankverses, welche in einem Brief von Schiller an Goethe vom 24.November 1797 zum Ausdruck kommt: "Seitdem ich meine prosaische Sprache in eine poetisch-rhythmische verwandle, befinde ich mich unter einer ganz anderen Gerichtsbarkeit als vorher;… Man sollte wirklich alles, was sich über das Gemeine erheben muss, in Versen, wenigstens anfänglich, konzipieren, denn das Platte kommt nirgends so ans Licht, als wenn es in gebundener Schreibart ausgesprochen wird... Der Rhythmus leistet bei einer dramatischen Produktion noch dieses Große und Bedeutende, dass er, indem er alle Charaktere und alle Situationen nach einem Gesetz behandelt und sie, trotz ihres inneren Unterschiedes, in einer Form ausführt, dadurch den Dichter und seinen Leser nötigt, von allem noch so charakteristisch Verschiedenen etwas Allgemeines, rein Menschliches zu verlangen."
Besonders interessant finde ich an diesem Zitat, der Dichter solle "alles, was sich über das Gemeine erheben muss,.. in Versen konzipieren," um das "Platte" zu eliminieren. Für heutige Autoren, könnte der Blankvers somit als ein Filter dienen, der das Platte aus ihren Stücken zu entfernen, falls dieses überhaupt gewünscht ist.
© Ralf Schauerhammer
Archibald Douglas
"Ich hab' es getragen sieben Jahr,
Und ich kann es nicht tragen mehr!
Wo immer die Welt am schönsten war,
Da war sie öd' und leer.
Ich will hintreten vor sein Gesicht
In dieser Knechtsgestalt,
Er kann meine Bitte versagen nicht,
Ich bin ja worden alt.
Und trüg' er noch den alten Groll,
Frisch wie am ersten Tag,
So komme, was da kommen soll,
Und komme, was da mag."…
von Theodor Fontane
Diese Strophenform ist nach der alten Volksballade "The Ancient Ballad of Chevy-Chase" benannt, welche In der 1765 erschienenen Gedichtsammlung "Reliques of Ancient English Poetry" veröffentlicht wurde.
Es ist eine vierzeilige Strophe im Kreuzreim, wobei die erste und dritte Zeile vier Hebungen hat, die zweite und vierte nur drei, und die Füllung mit unbetonten Silben variiert, d.h. in die meist jambischen Versfüße werden daktylische eingeflochten, was den typischen Charakter dieser Strophenform ausmacht. Außerdem charakterisiert diese Strophenform, dass nur männliche Kadenzen vorkommen, was sie für lyrische Gedichte recht unbrauchbar macht.
Die Strophenform eignet sich jedoch sehr gut für die Balladendichtung, sie wird im Englischen sogar "Ballad metre" genannt. Die Tatsache, dass diese Strophenform in rein jambischer Ausführung dort eine unterschiedliche Bezeichnung hat, nämlich "Common measure", unterstreicht die Bedeutung der unregelmäßigen Füllung für den Charakter der Strophenform.
Nachdem diese Form durch Friedrich Gottlieb Klopstock ins Deutsche gebracht wurde, – er verwendete sie natürlich reimlos – griffen sie viele Dichter auf, und bis in die Gegenwart ist diese Form für Balladen beliebt. Ein Beispiel ist Berthold Brechts Ballade
Die Legende vom Toten Soldaten
Und als der Krieg im vierten Lenz
Keinen Ausblick auf Frieden bot
Da zog der Soldat seine Konsequenz
Und starb den Heldentod.
Der Krieg war aber noch nicht gar
Drum tat es dem Kaiser leid
Daß sein Soldat gestorben war:
Es schien ihm noch vor der Zeit.
Der Sommer zog über die Gräber her
Und der Soldat schlief schon
Da kam eines Nachts eine militär-
ische ärztliche Kommission.
Es zog die ärztliche Kommission
Zum Gottesacker hinaus
Und grub mit geweihtem Spaten den
Gefallnen Soldaten aus.
Der Doktor besah den Soldaten genau
Oder was von ihm noch da war
Und der Doktor fand, der Soldat war k. v.
Und er drückte sich vor der Gefahr…
© Ralf Schauerhammer
Contrerime Siehe —> Querzeiler
Die Erfindung der Dezime
Einstens saß beim Mondenscheine,
lange vor den Sprachreformen,
die Gedichte heute normen,
Archibald mit sich alleine
ringend, wie er das Intime
sagen kann und das Gemeine.
Archibald, bekannt als Mime,
wusste nicht, wie das zu lösen
sei und fiel in leichtes Dösen:
Da erfand er die Dezime.
Wie der Name sagt, ist die Dezime eine zehnzeilige Strophe. In der deutschen Dichtung sind zehnzeilige Strophen, wie z.B. auch die Schillerstrophe, sehr selten. Die Dezime wurde in der Romantik aus Spanien übernommen und erfreute sich einer kurzen Beliebtheit.
Das Metrum ist im Deutschen, angelehnt an die achtsilbige spanische Zeile, der vierhebige Trochäus mit weiblicher Kadenz, welcher manchmal auch als "spanischer Trochäus" bezeichnet wird.
Für die zehn Zeilen werden vier Reime verwendet. Es gibt verschiedene Reimschemen, von denen die meisten jedoch dazu führen, dass die Strophe im Grund in zwei Fünfzeiler zerfällt. Der Spanische Dichter Vincente Espinel entwickelte deshalb die nach ihm benannte Form der Dezime (Espinela) , welche in den ersten und letzten vier Zielen umarmende Reime aufweist, d.h. abba und cddc. Die mittleren beiden Zeilen als Bindeglied den jeweils ersten Reim dieser beiden Gruppen tragen, meist ac oder aber ca. Insgesamt also abbaaccddc oder abbacacddc. Ich persönlich empfinde die Wirkung der Bindung durch ca stärker und habe sie deshalb im einleitenden Beispiel benutzt.
In der Romantik versuchten einige Dichter, vor allem Friedrich Schlegel, das Rad neu zu erfinden und probierten die verschiedensten Reimschemen aus, wobei sie auch die für die Form wichtigen umarmenden Reime aufgaben – mit mäßigem Erfolg.
© Ralf Schauerhammer
Im Hexameter steigt des Springquells silberne Säule,
Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.
Friedrich Schiller
Das Distichon besteht aus zwei Zeilen, von denen, die erste ein Hexameter ist und die zweite ein Pentameter.
Der Hexameter besteht aus sechs Versfüßen, von denen die ersten fünf Daktylen sind und der sechste ein Trochäus. In einzelnen Versfüßen kann im Deutschen der Daktylus auch durch einen Trochäus ersetzt werden, aber nur in den vier ersten Versfüßen, d.h. das Zeilenende muss ein voller Daktylus gefolgt von einem Trochäus sein. In der Zeile des Hexameters befindet sich eine kleine Sprechpause (im einleitenden Beispiel nach "steigt"), und zwar vor dem vierten Versfuß, welche die Zeile in ungleiche Teile teilt.
Auch der Pentameter besteht aus sechs Versfüßen. Er ist im Grund ein Hexameter, bei dessen drittem und sechstem Versfuß die zweite Hälfte des Daktylus (d.h. die zwei Tonsenkungen) fehlt. Zusammengenommen fehlt also die Länge eines Versfußes, weshalb die Form trotz der sechs Hebungen "Pentameter" (d.h. "Fünfmaß" ) genannt wurde. Im Deutschen können, wie beim Hexameter, auch im Pentameter Daktylen durch Trochäen ersetzt werden, aber nur in den ersten beiden Versfüßen. Ganz wichtig für den Charakter des Pentameters eine Pause nach der dritten Hebung (im einleitenden Beispiel nach "drauf"), welche die Zeile in zwei gleiche Teile teilt.
Goethe und Schiller verwendeten die Form Distichen für die Sammlung die Xenien, aus denen auch das einleitende Beispiel stammt.
Gedichte, die aus mehreren Distichen bestehen, bezeichnet man als Elegie, wie das folgende schöne Beispiel von Friedrich Schiller.
Nänie
Auch das Schöne muss sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
dass das Schöne vergeht, dass das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich,
denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.
© Ralf Schauerhammer
Die Nachtigall
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Sie war doch sonst ein wildes Blut;
Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Glut
Und weiß nicht, was beginnen.
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Theodor Storm
Es gibt viele unterschiedliche fünfzeilige Strophenformen, aber diese hier ist die häufigste. Auch ist das einleitende Gedicht sicherlich das bekannteste fünfzeilige deutschsprachige Gedicht. Wegen seiner Schönheit ist es vollständig zitiert.
Die Form des Gedichts trägt keinen besonderen Namen, obwohl sie einen verdiente, man wäre versucht ihr den Namen "Nachtigall-Strophe" zu geben. Auch die Entstehung dieses Fünfzeilers ist nicht bekannt. Sie kam jedoch schon im 16. Jahrhundert als Volksliedstrophe vor.
Die Strophe trägt zwei Reime und besteht aus jambischen Zeilen, wobei die erste, dritte und vierte Zeile vierhebig sind mit männlicher Kadenz, und die zweite und fünfte Zeile dreihebig mit weiblicher Kadenz. Die vierhebigen Zeilen tragen den ersten Reim, die dreihebigen den zweiten.
Den Strophencharakter erkennt man recht deutlich, wenn man sie als die jambische Form der Vagantenstrophe mit "gedoppelter" vorletzter Zeile ansieht. Man kann in allen Strophen des einleitenden Gedichts die vorletzt Zeile streichen und erhält eine völlig intakte Strophe in der Form der Vagantenstrophe:
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Die Rosen aufgesprungen.
Wenn man das tut, spürt man auch sofort das Besonders dieses Fünfzeilers: Die in den Vierzeiler "eingeschobene" vorletzte Zeile bewirkt eine Verzögerung, welche dann die Strophe in der Schlusszeile umso kräftiger schließt.
Dieser Wirkung verdankt die Strophenform, dass sie bis heute eine beliebte Form geblieben ist, z.B. verwendet sie Kurt Tocholsky in seinem Gedicht "Fragen an eine Arbeiterfrau"
Bist du sein guter Kamerad
und stehst an seiner Seite –?
Und bist du ihm auf jedem Pfad
im Kampf mit diesem Klassenstaat
Gesellschaft und Geleite –? ...
Aber auch in Bänkelliedern und in Gedichten aller Art ist diese "Nachtigall-Strophe" bis heute lebendig geblieben.
© Ralf Schauerhammer
Reinigung
Bleib du in deiner Meerestiefe,
Wahnsinniger Traum,
Der du einst so manche Nacht
Mein Herz mit falschem Glück gequält hast,
Und jetzt, als Seegespenst,
Sogar am hellen Tag mich bedrohest –
Bleib du dort unten, in Ewigkeit,
Und ich werfe noch zu dir hinab
All meine Schmerzen und Sünden,
Und die Schellenkappe der Torheit,
Die so lange mein Haupt umklingelt,
Und die kalte, gleißende Schlangenhaut
Der Heuchelei,
Die mir so lang die Seele umwunden,
Die kranke Seele,
Die gottverleugnende, engelverleugnende,
Unselige Seele –
Hoiho! Hoiho! Da kommt der Wind!
Die Segel auf!
Sie flattern und schwell'n!
Über die stillverderbliche Fläche
Eilet das Schiff,
Und es jauchzt die befreite Seele.
Aus dem Zyklus "Die Nordsee" von Heinrich Heine
Der Freie Vers wird gemeinhin definiert als frei von Reim, frei von Metrum und frei von Rhythmus. Damit lässt sich jedoch wenig anfangen, denn das ist keine Definition. Definieren bedeutet sagen was etwas ist und nicht was es nicht ist. Nach dieser "Definition" kann sowohl eine Bedienungsanweisung, als auch ein beliebiger Nachrichtentext oder ein Einkaufszettel ein "Freier Vers" sein.
Auch der Eintrag zum Freien Vers in Wikipedia muss feststellen: "Praktisch anwendbare Merkmale des freien Verses zu bestimmen, stellt sich als sehr schwierig heraus, da der freie Vers sich eher negativ bestimmt." Der Versuch bei Wikipedia, das Thema über geschichtliche und länderspezifische Aspekte positiv zu bestimmen bleibt vage. Erwähnt wird jedoch Ezra Pounds Mahnung: "Glaube nicht, dass ein kluger Mensch sich hinters Licht führen lässt, wenn du dich um die Schwierigkeiten der unsagbar schweren Kunst guter Prosa drückst, indem du deine Arbeit in regelmäßige Zeilen hackst!" Leider wird später im selben Beitrag genau das, wovor Pound hier warnt, als Beispiel für den Freie Vers vorgestellt. Ich möchte nun versuchen den freien Vers positiv zu bestimmen, soweit es mir möglich ist.
Es sind zwei Fragen zu beantworten: Wodurch ist der Freie Vers "frei" und zweitens, wodurch ist er Freie Vers "Vers".
Ich sage "wodurch", weil wir nie einfach frei "von" sind, sondern immer nur durch etwas, so sind wir den Naturgesetzen unterworfen, und ihnen gegenüber nur frei, durch deren Erkenntnis und der drauf basierenden Technik, oder wir können nur vor dem Schicksal frei sein, durch einen erhaben Charakter.
Zuerst möchte ich fragen: Wodurch ist der Freie Vers überhaupt ein Vers?
Dass für den Freien Vers kein Reim nötig ist, ist leicht zu sehen. Die antike griechische Dichtung hatte keinen Reim, aber sie wurde ganz bestimmt in Verse gesungen. Der erste Versuch in die Richtung, die heute durch den Freier Vers charakterisiert ist, unternahm in der deutschen Poesie Friedrich Gottlieb Klopstock und bestand gerade darin, diese antiken Formen in die deutsche Sprache zu übernehmen.
Ein festes Metrum ist für den Vers auch nicht unbedingt nötig. Bei der Beschreibung der Gedichtformen wird im Allgemeinen das Metrum zwar immer hervorgehoben, ähnlich den Konstruktionslinien von Gemälden, aber in der poetischen Wirklichkeit ist seine Bedeutung gering. Wolfgang Kayser verwendet irgendwo den schönen Vergleich zu einer Stickerei, bei welcher der Betrachter das regelmäßig gewebte Tuch, in welchem gestickt wurde, bei dem fertigen Kunstwerk gar nicht mehr wahrnimmt. Das Metrum stützt eigentlich nur den Rhythmus, mehr nicht, und bei guten Gedichten ist es oft schwer im Nachhinein ein Metrum zu finden. Es ist also gar nichts Besonderes, wenn im Freien Vers kein Metrum erkennbar ist.
Der Rhythmus selbst ist nicht fest, aber was dem Vers zum Vers macht, und was den Vers von der rhythmisch völlig variablen Prosa unterscheidet, ist eine wiederkehrende rhythmische Bewegung, nicht unbedingt in exaktem Zeittakt, sondern durchaus schwebend und veränderlich wie die Phrasierung in der Musik, aber trotzdem für das Ohr des Lesers wahrnehmbar. Ohne dieses Charakteristikum kann es keinen Vers geben. Frei "von Rhythmus" kann also nur bedeuten, frei von einem bestimmten, starr festgelegtem "äußerem" Rhythmus.
Der Vers, auch der "nichtfreie", entsteht dadurch, dass die Sprache sich so organisiert, dass eine rhythmische Wiederkehr erfolgt, so als würde sie einem regelmäßigen Atmen, einem Auf- und Abbranden folgen, was man im Nachhinein als einen vorgegebenen Rhythmus interpretieren kann. In Wirklichkeit entspringt der Rhythmus jedoch der emotionalen Dynamik des Dichters, d.h. er tritt nicht von außen an die Sprache heran, sondern kommt von innen. Wenn man Fragmente guter Dichter studiert, in den denen sich Verse, vers-ähnliche Passagen und Prosastellen vermischen, wird dieser innere Prozess, welcher den Versrhythmus entstehen lässt, mit Händen greifbar.
Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung der Warnung Ezra Pounds vor dem "in Zeile hacken von Prosa" deutlich. Wenn also Erich Fried den Text einer Zeitungsannonce in Zeilen zerhackt, dann kann daraus keine Freier Vers entstehen, denn für Kehle und Ohr ist und bleibt es verslose Prosa, und das Auge hat an der Lyrik den geringsten Anteil. Leider gilt Ähnliches für Vieles, was "Freier Verse" genannt wird. Diese Texte gehören ins Reich der Prosa, was ihnen jedoch keinerlei Abbruch tut, wenn es nur gute Texte sind.
Nach dem bisherig Gesagten erscheint mir der Freie Vers gar nicht so revolutionär und kein völliger Bruch mit aller bisherigen Poesie. Aber er unterscheidet sich dennoch durch den radikal freien Gebrauch der sprachlichen Mittel.
Es stellt sich die Frage: Wodurch entsteht die Freiheit des Freien Verses?
Ich habe vorhin einen Aspekt des poetischen Prozesses erwähnt, der sich bisweilen in Fragmenten zeigt. Diese deutet an, dass die poetische Sprache sich anders formt als Prosa, weil der emotionale Gehalt des zu sagenden jeweils bestimmte rhythmische und klangliche Eigenarten mit sich bringt, aus welchen ein harmonisches Ganzes, eine Form, erwächst.
Wenn nun der Dichter in der Lage ist, sich so frei von etablierten Formen zu bewegen, dass er dem spezifischen Gedicht hier und jetzt eine völlig eigene Form geben kann, wenn sein Ausdruck und Gebrauch der sprachlichen Mittel durch sein Talent und seine Meisterschaft der bekannten Formen völlig frei ist, dann kann er, sozusagen ohne Balancestange auf dem Hochseil der Sprache, die genau passende Form für dieses eine Gedicht, das er gerade schreibt, finden. Er ist dann frei durch die Kenntnis und das bewusste Vermeiden hergebrachter sprachlicher Normen. Das erfordert jedoch eine große Meisterschaft der Sprache, und ich behaupte, dass der Dichter, der dazu in der Lage ist, auch gute Gedichte in jeder "alten" Form schreiben könnte, wenn er nur wollte, genau wie ein guter moderner Maler die Werke der Klassiker kopieren bzw. in deren Stil malen kann.
Mir scheint wichtig zu erwähnen, dass diese Freiheit auch nicht dadurch eingeschränkt werden darf, dass bestimmte "alte" sprachliche Mittel verboten werden, z.B. ein Verbot von Reimen oder metrisch gleichen Abschnitten, denn es kann ja sein, dass sie in einem besonderen Fall genau das passende Ausdrucksmittel für den Dichter sind.
Ein wichtiger Effekt dieser Gestaltungsfreiheit des Freien Verses scheint mir auch, dass der metaphorische Gehalt stärker in den Vordergrund tritt. Bei einem stark vom Rhythmus getragenen Wiegenlied kann der Inhalt "verdämmern", im Extremfall zu einem La-La-Li, während im Gegensatz dazu der Freie Vers vom metaphorischen Inhalt getragen wird.
Somit ist das Interessante für den Leser, dass er beim guten Freien Vers sehr nahe am dichterischen Schaffensprozess ist.
Abschließend möchte ich die Auswahl des dem Text vorangestellten Beispielgedichtes begründen, welche manchen überrascht haben mag.
Wenn über den Ursprung des modernen Freien Verses gesprochen wird, dann wird meistens auf Friedrich Gottlieb Klopstock und einige frühe Gedichte von Johann Wolfgang Goethe verwiesen. Meiner Meinung nach trifft das den Punkt nicht gut, da es damals vor allem um die Übertragung antiker Rhythmen, vor allem Pindars, in die deutsche Sprache ging, d.h. um Rhythmen, die zwar sehr flexibel, aber nicht "frei" sind.
Im Gegensatz dazu scheint mir beim lauten Lesen von Heinrich Heines Zyklus "Die Nordsee" deutlich hörbar zu sein, wie der Freie Vers aus dem volksliedhaften Versen Heines in der deutschen Sprach selbst entsteht. Somit würde ich lieber hier die Geburtsstunde dieser Form in der deutschen Dichtung ansiedeln.
© Ralf Schauerhammer
Dulcinea virtuell
Ach, wenn ich tausend Zungen hätt,
ich säng im Bass und im Falsett
von deiner Schönheit, holde Dame.
Frau Dulcinea ist dein Name;
vom Süßen, sagen zwar infame
Gerüchteschmiede, seist du fett,
doch ich, der ich dich wirklich kenne,
der ich vor Lust nach dir verbrenne,
dich liebevoll "mein Schnuckel" nenne,
ich weiß dich schlank und stets adrett.
An deine zierlich kleinen Ohren
hab ich zuerst mein Herz verloren
und schließlich Liebe dir geschworen,
gereimt in kunstvollem Sonett.
An deines Mundes Rosenlippen –
tagtäglich möchte ich dran nippen,
und über deiner Brüste Wippen
wär ich so gern dein Amulett.
So fern von dir ist mir zum Weinen.
Ich träume nachts von deinen Beinen
und wo sie sich so keusch vereinen
spielt im Duett mein Flageolett.
Dein schönes Bild hält mich gefangen,
du reizt vom Po bis zu den Wangen;
erfülle endlich mein Verlangen,
ach, lass mich in dein Himmelbett
vom Abend- bis zum Morgengrauen!
Da spricht die schönste aller Frauen:
"Hör auf, ins Internet zu schauen –
verpiss dich jetzt aus meinem Chat!"
Das Gürtelgedicht entstand im 10 Jahrhundert in Andalusien und hieß Muwaššwie oder Zaǧal. Die bis dahin bekannten orientalischen Gedichtformen waren nicht strophisch und hatten nur einen einzigen Reim. Das Gürtelgedicht hingegen besitzt unterschiedliche Reime und ist in Strophen gegliedert, und zwar in einer Form, bei der verschiedene "Zweige" (ghuṣn) aus 3 Zeilen mit dem jeweils gleichen Reim mit einer vierten Zeile, dem "Gürtelband"(simṭ), verbunden sind. Der Gürtel-Reim ist im gesamten Gedicht gleich und wird in den ersten beiden Zeilen des Gedichts (markaz) angekündigt.
Das Reimschema ist somit:
aa(bzw. xa) – bbba – ccca – ddda etc.
Es gab jedoch auch komplexere Reimformen. Ein bestimmtes Metrum ist nicht vorgeschrieben, innerhalb einer Strophe können verschiedene Versmaße gemischt werden und es verbinden sich sogar längere Verse mit kürzeren.
Typisch für das Muwaššaḥ war, dass in der letzten Zeile die Sprache von Hocharabisch in den lokalen andalusischen Dialekt wechselte. Auch wenn man in der Nachdichtung heute die Sprache nicht wechselt, sollten in den Schlusszeilen (ähnlich dem Couplet im Shakespeare-Sonett) möglichst eine Wende oder Quintessenz enthalten sein.
Das Gürtelgedicht war nach seiner Erfindung sehr populär und legte die Grundlage für die frühitalienische Dichtung und die später sehr formenreiche Troubadouren-Dichtung.
Nach seiner Erfindung verbreitete sich das Gürtelgedicht in Andalusien in Frankreich und Italien. Nach Aussagen von Silvestro Fiore in "Über die Beziehung zwischen der arabischen und der frühitalienischen Lyrik" ist das Gürtelgedicht sogar eine Quelle des Sonetts.
Ob das Gürtelgedicht den Weg ins Deutsche gefunden hat, weiß ich nicht. Aber wenn man jetzt Gürtelgedichte schreibt – wie etwa das einleitende Beispiel von mir – ist die Frage geklärt.
Man kann sich das Gürtelgedicht als aus dem Ghasel entstanden denken, welches die Reimform aa xa xa xa xa hat. Aus dem Knospen der reimlosen (durch x markierten) Zeilen werden nun Blätter aus drei sich reimenden Zeilen und man erhält aa bbba ccca ddda etc.
Innerhalb einer Strophe können verschiedene Versmaße auch gemischt werden, längere sich mit kürzeren Versen verbinden, was in der quasida-Dichtung undenkbar ist. Bis heute streiten die Gelehrten darüber, ob der Strophendichtung von al-Andalus ein anderes Prinzip zugrunde liegt als der qasida-Dichtung; ob also nicht mehr die Quantität den Vers strukturiert, sondern eher der Akzent.
Zitat aus der Dissertation von Silvestro Fiore "Über die Beziehung zwischen der arabischen und der frühitalienischen Lyrik" steht auf Seite 28: "Muwaššwie wie Zaǧal haben in der arabischen Dichtung durchweg folgende Form: Sie beginnen mit dem ‚markaz‘ (Zentrum, Mitte, Schwerpunkt) bzw. ‚matla‘ (Bezeichnung für die ersten beiden Zeilen einer Ghasele), eine Art Einleitung, meist aus zwei Zeilen bestehend, die miteinander reimen können; darauf folgen die einzelnen Strophen, in denen wir jeweils zwei Elemente unterschieden: 1) den ‚ghuṣn‘ (Zweig), d.h. ein untereinander reimendes Terzett, und 2) den ‚simṭ‘ (Band) oder ‚qufl‘ (Schloss), d.h. die Endzeile(n), deren Reim in jeder Strophe sowie in "markaz" vorkommt ist der gleiche.
Wir sehen also, dass das Reimschema der eben betrachteten frühitalienischen Volkspoesie hier bereits besteht: aa(bzw. xa) – bbba – ccca – ddda etc."
© Ralf Schauerhammer
Klage nicht, dass du in Fesseln seist geschlagen,
Klage nicht, dass du der Erde Joch musst tragen.
Klage nicht, die weite Welt sei ein Gefängnis;
Zum Gefängnis machen sie nur deine Klagen.
Frage nicht, wie sich dies Rätsel wird entfalten;
Schön entfalten wird sich's ohne deine Fragen.
Sage nicht, die Liebe habe dich verlassen;
Wen hat Liebe je verlassen? Kannst du's sagen?
Zage nicht, wenn dich der grimme Tod will schrecken;
Er erliegt dem, der ihn antritt ohne Zagen.
Jage nicht das flücht'ge Reh des Weltgenusses;
Denn es wird ein Leu und wird den Jäger jagen.
Schlage nicht dich selbst in Fesseln, Herz, so wirst du
Klagen nicht, dass du in Fesseln seist geschlagen.
Friedrich Rückert
Das Ghasel ist eine sehr alte Form arabischer und persischer Dichter, die bereits aus dem 8. Jahrhundert stammt und im 12. und 13. Jahrhundert weite Verbreitung fand. Durch Friedrich Rückert kam das Ghasel nach Deutschland. Er übersetzte achtzig Ghaselen aus dem Divan von Hafis (das obige Gedicht die Übersetzung eines berühmten Ghasels von Mewlana Dschelaleddin Rumi), wobei er die Form so gelungen ins Deutsch übertrug, dass sie von andere dichter aufgegriffen wurde, vor allem von den Romantiker. Damit erfüllte sich der Wunsch, den Rückert hatte:
Die neue Form, die ich zuerst in diesem Garten pflanze,
O Deutschland wird nicht übel stehn in deinem reichen Kranze.
Nach meinem Vorgang mag sich nun mit Glück versuchen mancher
So gut im persischen Ghasel, wie sonst in welscher Stanze.
Die Form des Ghasels besteht aus eine Folge zweizeiliger Glieder, wobei die zweite Zeile immer den gleichen Reim trägt. Dieser Reim wird in der ersten beiden Zeilen "angekündigt", welche beide auf diesen Reim enden. Es ergibt sich somit das folgende Reimschema: aa xa ya za…
Es ist kein besonderes Metrum für die Zeilen vorgegeben, deren Länge sogar unterschiedlich sein kann. Im Deutschen werden jedoch häufig vierhebige Jamben verwendet, es sind aber auch trochäische Zeilen und solche mit unregelmäßiger Füllung möglich.
Die Länge eines Ghasels ist nicht festgelegt, aber mit weniger als sechs Zeilen ist die Form nicht erkennbar, weswegen es mindestens sechs Zeilen haben muss. Es kann und darf jedoch beliebig lang sein, i.A. ist es aber nicht sehr lang, daher die Angabe von dreißig Zeilen.
Die Wirkung des Ghasels beruht stark auf der Wiederholung des Reimklangs, wobei auch Halbreime (Assonanzen), unreine und identische Reime verwendet werden können.
© Ralf Schauerhammer
Allerdings
Dem Physiker
"Ins Innre der Natur" -
O du Philister! -
"Dringt kein erschaffner Geist."
Mich und Geschwister
Mögt ihr an solches Wort
Nur nicht erinnern;
Wir denken: "Ort für Ort
Sind wir im Innern."
"Glückselig!, wem sie nur
Die äußre Schale weist!"
Das hör ich sechzig Jahre wiederholen,
Ich fluche drauf, aber verstohlen;
Sage mir tausend tausend Male:
"Alles gibt sie reichlich und gern;
Natur hat weder Kern Noch Schale,
Alles ist sie mit einem Male.
Dich prüfe du nur allermeist,
Ob du Kern oder Schale seist!"
Johann Wolfgang Goethe greift hier, im Stil einer Glosse, zwei Zeilen aus Albrecht von Hallers langem Gedicht "Falschheit menschlicher Tugenden" auf, um deren Aussage zu negieren. Sie lauten:
"Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist.
Zu glücklich, wem sie noch die äußre Schale weist!"
Der Charakter eine Glosse besteht darin, sich mit einer Aussage eines anderen Künstlers auseinanderzusetzten, wobei die Aussage bestätigt und fortgeführt werden kann, oder ihr widersprochen wird. Die Aussage wird zitiert und mit den Gedichtstrophen der Glosse verwoben.
Goethes Gedicht zeigt das Prinzip in Kurzform, es ist jedoch keine Glosse im engen Sinn. Die Form entstand Ende des 14. Jahrhunderts in Spanien. Sie besteht aus einem vierzeiligen "Kopf", welcher die Zitatzeilen enthält, gefolgt von vier Dezimen (das sind zehnzeiligen Strophen, die meist das Reimschema abab ca cddc haben.), welche die Kopfzeilen kommentieren und der Reihe nach mit jeweils einer der Kopfzeilen enden.
Da die Reime der Kopfzeilen in die Dezimen integriert werden müssen, ergibt sich z.B. folgendes Reimschema (die vier zitierten Zeilen sind mit Großbuchstaben gekennzeichnet):
A1 B2 B3 A4 : cdcdcaaeeA1 efefebbggB2 hihihbbjjB3 klklkaammA4
Ins Deutsche fand die Glosse in der Frühromantik ihren Weg und war eine beliebte Form der Romantiker. Das folgende Beispiel einer Romanze stammt von Ludwig Uhland und ist deshalb interessant, weil es nicht nur das vorgegeben Thema von Ludwig Tieck kritisiert, sondern gleichzeitig die romantische Verwendung der Form der Romanze aufs Korn nimmt.
Der Rezensent
"Süße Liebe denkt in Tönen,
Denn Gedanken stehn zu fern,
Nur in Tönen mag sie gern
Alles, was sie will, verschönen."
Schönste! Du hast mir befohlen
Dieses Thema zu glossieren;
Doch ich sag es unverhohlen:
Dieses heißt die Zeit verlieren,
Und ich sitze wie auf Kohlen.
Liebtet ihr nicht, stolze Schönen!
Selbst die Logik zu verhöhnen,
Würd ich zu beweisen wagen,
Dass es Unsinn ist zu sagen:
"Süße Liebe denkt in Tönen"
Zwar versteh ich wohl das Schema
Dieser abgeschmackten Glossen,
Aber solch verzwicktes Thema,
Solche rätselhaften Possen
Sind ein gordisches Problema.
Dennoch macht' ich mir, mein Stern!
Diese Freude gar zu gern.
Hoffnungslos reib ich die Hände,
Nimmer bring ich es zu Ende,
"Denn Gedanken stehn zu fern."
Lass, mein Kind, die span'sche Mode!
Lass die fremden Triolette!
Lass die welsche Klangmethode
Der Kanzonen und Sonette!
Bleib bei deiner sapph'schen Ode!
Bleib der Aftermuse fern
Der romatisch süßen Herrn!
Duftig schwebeln, luftig tänzeln
Nur in Reimchen, Assonänzeln,
"Nur in Tönen mag sie gern."
Nicht in Tönen solcher Glossen
Kann die Poesie sich zeigen;
In antiken Verskolossen
Stampft sie besser ihren Reigen
Mit Spondeen und Molossen.
Nur im Hammerschlag und Dröhnen
Deutschhellenischer Kamönen
Kann sie selbst die alten, kranken,
Allerhässlichsten Gedanken,
"Alles, was sie will, verschönen."
In der Tat besteht die Gefahr, dass die strenge Form der spanischen Glosse häufig zu einem stark bauenden Rhythmus führt und unnatürlich klingenden Konstruktionen. Was sicher dazu beitrug, dass nach der Romantik nur noch wenige Glossen geschrieben wurden. Goethes Gedicht "Allerdings" hingegen fließt in völlig natürlicher Sprache und ermuntert auch heute noch, wenn nicht exakte Glossen, so doch glossenartige Gedichte zu schreiben.
© Ralf Schauerhammer
Mein Auge schweift über den fremden Himmel.
Da schwebt der Mond herauf.
O seht, es ist der gleiche,
der in der Heimat, in Kasuga,
die Berge beglänzt.
Abe Nakamaro (702-770)
Mondnacht. Jedesmal,
wenn die Brandungswogen zurückweichen,
erglänzt der feuchte Sand wie Silber.
Mutsuhito (1832-1912)
Wilhelm Bodmershof, der Ehemann von Imma Bodmerhof schrieb als Anhang zu ihrem Buch "Haiku" eine Studie, darin erwähnt er diese beiden Haikus und sagt: "Zwischen dem ersten und dem letzten (dieser Gedichte) liegen rund 1200 Jahre, dennoch klingen alle Haiku so frisch, als wären sie heute gesprochen… Der seelische Grundton formt auch durch Jahrtausende hindurch ihre Baugesetze."
Wie ich seine Studie verstehe, besteht seiner Meinung nach das erste Baugesetz darin, dass jedes Gedicht mit wenigen Worten eine Impression zeichnet, der eine Metapher zugrunde liegt.
Das zweite Bauelement des Haiku ist seiner Meinung nach die Bewegung, welche ihr Momentum durch eine im Gedicht herrschende Spannung zwischen zwei Polen erhält, was er als drittes Baugesetz des Haikus bezeichnet.
Nun schließt sich der folgenden mir wesentlich erscheinenden Satz an: "Von den europäischen ästhetischen Apperzeptionsformen steht wohl die Metapher dem japanischen Kurzgedicht am nächsten. Metapher nicht im Sinne des äußeren Redeschmuckes, sondern im Sinn eines versteckten, nicht zur vollen Aussage gelangenden Gleichnisses. Metapher also im Sinn eines Übergreifens aus dem irdischen in einen überirdischen Verstellungsbereich."
Ich habe dieses hier angeführt, weil mir es wichtiger erscheint das Gestaltungsprinzip des Haikus zu erkennen, als eine Vielzahl von Regeln aufzuzählen, welche im Deutschen meist fragwürdig sind, da sich die japanische Sprache sehr von der deutschen unterscheidet. Zum Beispiel wird als Form des Haikus immer wieder angeführt, dass es aus siebzehn Silben bestehe, die sich auf drei Zeilen so verteilen, dass in der ersten und letzten fünf Silben stehen und in der mittleren sieben. Da sich diese Formgebung im Japanischen auf Moren bezieht, welche mit unseren Silben kaum vergleichbar sind, halte ich dieses Formgesetz für relativ unwichtig.
Das wird von dem folgenden Beispiel unterstrichen:
"Welche Sprache sprichst du, o See?"
"Die Sprache der ewigen Fragen."
"In welcher Sprache gibst du Antwort o Himmel?"
"In der Sprache ewigen Schweigens"
Rabindranath Tagore
Manche sagen vielleicht spontan: "Das ist doch gar kein Haiku". Aber Tagore bezeichnete es als solches. Als dieser Dichter mit dem Haiku bekannt wurde, war er begeistert von dieser Form und übertrug sie in seine Sprache, aber nicht die Form an sich, sondern das Formprinzip. Und wenn man sein Haiku genau liest, dann wird man die von Wilhelm Bodmershof entwickelten "Baugesetze" finden.
Haikus finde ich auch deshalb faszinierend, weil sie wie ein Samenkorn erscheinen, welches sich mit wenigen Worte ins Bewusstsein senkt, um die reiche Fülle der reifen Pflanze zu entfaltet, ähnlich einer japanischen Tuschmalerei, welche in einigen wenigen Linien dem inneren Auge ein zwischen Irdischem und Transzendetem schwebendes, perspektivisch vollständiges Gemälde zeigt.
(Quelle: Wikipedia)
Obwohl es schwer ist, die Form des Haukus konkret zu fassen, lässt sich mit Sicherheit sagen, dass diese kurzen Gedichte sprachliche "Perlen" sind, d.h. ihre Vokalmelodie und ihr Rhythmus sind harmonisch und sprachlich schön. Wie zum Beispiel das folgende, fast singbare Haiku von Imma Bodnershof.
Meine Spur lag groß im Schnee
als ich zum Wald ging.
Heimzu fand ich sie nicht mehr.
© Ralf Schauerhammer
O Haupt voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn,
o Haupt, zum Spott gebunden
mit einer Dornenkron,
o Haupt, sonst schön gezieret
mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber hoch schimpfieret:
gegrüßet seist du mir!
Paul Gerhardt
Diese auch als "Hildebrandtston" bezeihnete Strophenform ist nach dem "Jüngeren Hildebrandslied" benannt, welches wahrscheinlich im 8. Jahrhundert nach Deutschland kam und ab dem 15. Jahrhundert in verschiedenen Formen schriftlich überliefert wurde. Der Anfang lautet:
"Ich wil zu Land ausreiten", / sprach sich Meister Hiltebrant,
"Der mir die Weg tet weisen / gen Bern wol in die Land,
Die seind mir unkund gewesen / vil manchen lieben Tag:
In zwei und dreißig jaren / Fraw Utten ich nie gesach."
Die Hildebrandston-Strophen wurden melodisch vorgetragen, etwa wie heute ein Opern-Rezitativ.
Der Hildebrandtston war später (durch Halbierung der achtzeiligen Form) Ursprung der beliebten Volksliedstrophenform, dem Vierzeiler mit Kreuzreim aus Zeilen mit dreihebigen Jamben und abwechselnd weiblicher und männlicher Kadenz.
Es war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.
Johann Wolfgang Goethe
© Ralf Schauerhammer
Sô die bluomen ûz dem grase dringent,
same si lachen gegen der spilden sunnen,
in einem meien an dem morgen fruo,
und diu kleinen vogellîn wol singent
in ir besten wîse die si kunnen,
waz wünne mac sich dâ gelîchen zuo?
ez ist wol halb ein hîmelrîche.
suln wir sprechen waz sich deme gelîche,
sô sage ich waz mir dicke baz
in mînen ougen hât getân,
und taete ouch noch, gesaehe ich daz.
Walther von der Vogelweide
Wenn die Blumen aus dem Grase dringen,
Gleich als lachten sie empor zur Sonne,
Morgens früh an einem Tag im Mai,
Und die Vögel lieblich dazu singen
Ihre schönsten Weisen – welche Wonne
Meinet ihr, dass dieser ähnlich sei?
Ach, man glaubt sich halb im Himmelreiche;
Soll ich's sagen, was ich dem vergleiche,
Wohl! so sag ich, was mein Aug erquickt
Heut und immerdar, wenn ich's erblickt.
Übertragen aus dem Mittelhochdeutsch von SaintMark auf Lyricstranslate (https://lyricstranslate.com)
Eine Kanzone ist allgemein ein Lied oder Gedicht aus mehreren Strophen gleicher Bauart. Die Kanzonenstrophe im engeren Sinn ist eine Gedichtform, die sich im Mittelalter vom französischen Raum kommend in die deutsche Lyrik ausbreitete. Das einleitende Beispiel stammt aus dem Hochmittelalter.
Diese Kanzonenstrophe unterteilt sich in einen ersten Teil (den Aufgesang) und einen zweiten Teil (den Abgesang). Der erste Teil ist nochmals in zwei Teile unterteilt (die Stollen). Im Beispiel sehen wir zwei dreizeilige Stollen, deren Reime Stollenübergreifend abc abc sind, gefolgt von einem fünfzeiligen Abgesang, dessen Reimschema ddexe ist.
Entscheidend für die weitere Entwicklung war Italien, und dort insbesondere der Dichter Francesco Petrarca. Die Zeilen der italienischen Canzone bestanden abwechselnd aus Elfsilblern und Siebesilblern mit verschiedenen Reimschemen, die aber für alle Strophen des Gedichtes gleichbleibend sind. Bei der Übernahme dieser Form ins Deutsch wechseln entsprechend fünffüßige Jamben unf dreifüßigen Jamben.
Erst später verlor die Form ihre Vielfalt und es setze sich eine Strophenform durch, die aus dreizehn fünfhebigen Jambenzeilen mit durchgängig weiblicher Kadenz besteht. Das Reimschema ist abcabccdeedff. Abgesehen von einigen Versuchen der Romantiker fand diese Strophenform jedoch in Deutschland kaum Verwendung.
Bisweilen wird die These vertreten, dass sich das Sonett ursprünglich aus der Canzone entwickelt hat. Ich halte diese These für sehr unwahrscheinlich. Sicherlich hatten Canzone wegen ihrer weiten Verbreitung eine Einfluss auf das poetisch Sprachempfinden, aber gerade die Variabilität von Strophen- und Zeilenlängen sowie der Reimschemen mit übergreifenden Reinen passen nicht zu der fest gefügten Form des Sonetts, weshalb ich die im Betrag zum Sonett erwähnte Entstehungs-These von Raoul Schrott für plausibel halte.
© Ralf Schauerhammer
Gott hat das Evangelium
Gegeben, dass wir werden fromm;
Die Welt acht't solchen Schatz nicht hoch,
Der größte Teil fragt nichts darnach.
Man fragt nach Gott dem Herrn nicht mehr,
Die Welt stinkt ganz nach eitler Ehr',
Die Hoffart nimmt ganz überhand,
Betrügen, lügen ist kein' Schand.
Erasmus Albertus vertont von Johann Sebastian Bach (BWV 316).
Der Knittelvers, was im Frühhochdeutschen "Reimvers" bedeutet, war seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland eine weit verbreitete volkstümliche Versart. Später wurde der Ausdruck mit Bezug auf "Knüttel" abwertend verwandt.
Der Knittelvers wurde ursprünglich im Paarreim gereimt und hatte i.A. vier Hebungen mit regelmäßiger oder unregelmäßiger Füllung. Darüber wie dieser alte Knittelvers seinerzeit gesprochen wurde, streiten sich bis heute die Gelehrten. Es gibt Knittelverse, z.B. von Hans Sachs, die viele Tonbeugungen aufweisen, d.h. für unser heutiges Ohr "geleiert" klingen, aber es gibt auch Beispiele von Knittelversen, wie das oben zitierte Gedicht von Albertus, bei denen Wortbetonung und Metrum zusammenpassen, und das bevor Martin Opitz 1624 in seinem "Buch von der deutschen Poeterei" diese Übereinstimmung zum wesentlichen Kriterium der deutschen Dichtung erhob. Im Barock verschwand der Knittelvers fast ganz, bis ihn Johann Wolfgang Goethe in seiner Faustdichtung wieder aufgriff, wobei er jedoch für seinen jambisch vierhebigen Knittelvers mit unregelmäßiger Füllung nicht nur Paarreim, sondern auch andere Reimformen und Waise verwendete.
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
durch des Frühlings holden, belebenden Blick.
Im Tale grünet Hoffnungsglück.
Der alte Winter in seiner Schwäche
zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
ohnmächtige Schauer körnigen Eises
in Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes.
Johann Wolfgang von Goethe: Osterspaziergang (Faust I)
Friedrich Schiller verwendete den Knittelvers in deinem Drama "Wallensteins Lager" und Theodor Fontane in seinem volkstümlichen Gedicht "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland". Auch Hugo von Hofmannsthal benutzte den Knittelvers in seinem Theaterstück "Jedermann", welches er nach dem Vorbild spätmittelalterlicher Mysterienspiele schrieb.
Heute verwenden Dichter den Knittelvers kaum noch, umso häufiger finden wir ihn in heiteren Gedichten, wie z. B. an Fastnacht in Büttenreden.
© Ralf Schauerhammer
There was a young lady of Niger
Who smiled as she rode on a tiger;
They returned from the ride
With the lady inside,
And the smile on the face of the tiger.
Es ritt eine Dame aus Niger
mit lächelndem Blick auf nem Tiger,
Als der Ausritt zu end,
war sie innen präsent,
und es lächelte nunmehr der Tiger.
Der Limerick ist ein fünfzeiliges Gedicht mit dem Reimschema AABBA wobei der Reim der fünften Zeile oft mit der ersten einen identischen Reim bildet, oft jedoch auch ein unreiner Reim ist. Das Metrum ist im Anapäst, wobei die erste, zweite und fünfte Zeile drei Hebungen haben, und die dritte und vierte Zeile nur zwei. Es dürfen unbetonte Silben nur sehr bedingt fehlen, z.B. am Zeilenanfang. Am Zeilenende darf auch eine zusätzliche unbetonte Silbe hinzukommen. Innerhalb der Zeilen dürfen nur in Ausnahmenfällen unbetonte Silben fehlen, und das möglichst nur in den ersten beiden Zeilen. Genaue Regeln gibt es nicht, aber sobald das Metrum auch nur leicht zum Jambischen tendiert, ist der Limerick zerstört.
Metrum:
(x) x X x x X x x X (x)
(x) x X x x X x x X (x)
(x) x X x x X
(x) x X x x X
(x) x X x x X x x X (x)
Das entscheidende Kriterium für den Limerick ist: Es handelt sich um einen poetischen Witz! Der Inhalt muss also komisch, satirisch, ironisch, sarkastisch, oder frivol, sexy und makaber, aber auch naiv und kindisch sein, eben typisch Britischer Humor. Der Schlusszeile kommt dabei besondere Bedeutung zu, weil sie durch eine Wendung die eingangs geschilderte Situation in neuem Licht erscheinen lässt, und so den Witz erzeugt. Limericks sind Spaßgedichte oder Nonsens-Gedichte. Eine weiter inhaltliche Besonderheit ist, dass die ersten Zeile oft eine Ortsangabe enthält, in dem eingangs zitierten Gedicht, das ich mit einer Übertragung versehen habe, ist das z.B. "niger".
Über die Herkunft des Limericks weiß man nichts genaues, was man daran erkennt, dass es mindestens drei verschiedene Theorien gibt. Unter anderem wird auf Kindereine verwiesen wie:
Hickory, dickory, dock!
The mouse ran up the clock.
The clock struck one –
The mouse was gone.
Hickory, dickory, dock!
Am Wahrscheinlichsten scheint mir die Entstehung durch Edward Lear, der 1843 seine Limericks mit Illustrationen unter dem Titel "Book of Nonsense" heraus gab – davon gibt es eine deutsche Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger. Der Limerick fand weltweite Verbreitung und auch im Deutschen werden heute noch fleißig Limericks geschrieben.
© Ralf Schauerhammer
Kater-Ökonomie
Mein Kater fängt sich gern ne Maus
und bringt sie mir dann stolz ins Haus,
und wenn ich sie nicht fresse,
dann scheucht er sie durchs Zimmer und
verliert bald das Int'resse.
Die Maus macht sich dann ziemlich schlank,
sie schlüpft in meinen Küchenschrank
und frisst dort Mehl und Brötchen.
Sie denkt, das sei ein fairer Deal
und zahlt mit schwarzen Knötchen.
Am Freitag haben wir entdeckt,
die Küchenmaus, die hat geheckt.
Ich seh' den Kater grinsen,
sein Kapital im Küchenschrank
bringt ihm nun fette Zinsen.
Die Lindenschmidtstrophe, ist eine seit dem 16. Jahrhundert oft verwendete Strophenform. Sie wird bisweilen auch "Wirtinnenvers" genannt, weil auch das seit Anfang des 19. Jahrhunderts bekannte Studentenlied "Es steht ein Wirtshaus an der Lahn" diese Strophenform aufweist. Das Lied stellt nicht gerade die Krone deutscher Poesie dar, was aber nicht verhindern sollte, diese Form auch heute noch zu nutzen, welche sich gut für Balladen und erzählende, humoristische Gedichte eignet.
Die Lindenschmidtstrophe ist ein jambischer Fünfzeiler, der in den ersten beiden Zeilen und der vierten Zeile vier Hebungen hat und männliche Kadenz. Die dritte und fünfte Zeile haben drei Hebungen und weiblich Kadenz. Die Zeilen mit gleicher Kadenz reimen sich, wobei die vierte Zeile meist reimlos ist, was die verzögernde Wirkung dieser Zeile und den Abschluss der Strophe in der Folgezeile bekräftig.
Den Namen erhielt die Strophenform nach einem Lied, dass auf den Räuber Lindenschmidt nach dessen Hinrichtung Ende des 15. Jahrhunderts gedichtet wurde und offenbar so populär wurde, dass viele andere Lieder diese Form nachahmten. Später wurde die Form sogar von Paul Gerhardt für das Kirchenlied "Ich weiß, mein Gott, dass all mein Tun" genutzt.
© Ralf Schauerhammer
Mein Mut ist mir betrübet gar,
Das hört man an meim Singen,
Mein Augen sehen hier und da,
Mein Freud will mir zerrinnen.
Mein Herz, das trauert inniglich
Von großen Seufzern klagend sich.
Untreue binget mir viel Leiden.
Die Lutherstrophe teilt sich beim Lesen in zwei Teile, fast so als wären der vierzeiligen Volksliedstrophe im Kreuzreim noch drei Zeilen angehängt worden, von denen die ersten beiden im Paarreim stehen und die dritte sich nicht reimt oder den Reim der zweiten und vierten Zeile aufnimmt. Die Strophenform ist natürlich nicht so entstanden, es ist eine sehr alte Form, die seit dem Mittelalter in Volksliedern vorkam. Das einleitende Beispiel stammt aus dem 14. Jahrhundert und wurde im Lochamer-Liederbuch schriftlich überliefert. Ich habe den Text der besseren Lesbarkeit halber in moderne Schreibweise übertragen.
Obwohl diese Strophenform lange vor Martin Luther existierte, trägt sie zu Recht den Namen "Lutherstrophe" denn Luther hat diese Form in seinen Kirchenliedern häufig verwendet und so bekannt gemacht, dass verschiedene Lieddichter sie aufnahmen und bald hunderte von Kirchenlieder in dieser Strophenform geschrieben wurden.
Psalm 130
Ob bei uns ist der Sünden viel,
bei Gott ist viel mehr Gnaden.
Sein Hand zu helfen hat kein Ziel,
wie groß auch sei der Schaden.
Er ist allein der gute Hirt,
der Israel erlösen wird
aus seinen Sünden allen.
Martin Luther
Die siebenzeilige Strophe ist jambisch und beginnt mit vier Zeilen von denen die erste und dritte vierhebig ist mit männlicher Kadenz und die zweite und vierte dreihebig mit weiblicher Kadenz. Dann folgen zwei vierhebige Zeilen im Paarreim mit männlicher Kadenz und die Schlusszeile, diese ist, wie die zweite und vierte Zeile, dreihebig mit weiblicher Kadenz, sie nimmt manchmal den Reim dieser Zeilen auf, oft ist sie jedoch ungereimt. Bisweilen ist die Schlusszeile jedoch auch vierhebig.
Durch die Kirchenmusik wurde die Lutherstrophe dann auch in weltlichen Gedichten so populär, dass sie im 16. und 17. Jahrhundert sogar zur am häufigsten verwendeten Form wurde. Doch schon im 18. Jahrhundert schwand sie immer mehr und wird heute kaum noch verwandt. Johann Wolfgang Goethe dichtet unter anderem sein bekanntes Gedicht "Der Sänger" in der Form der Lutherstrophe.
Was hör’ ich draußen vor dem Thor,
Was auf der Brücke schallen?
Laß den Gesang vor unserm Ohr
Im Saale wiederhallen!
Der König sprach’s, der Page lief;
Der Knabe kam, der König rief:
Laßt mir herein den Alten!
Dass die ehrwürdige Kirchenliedstrophe auch humoristische Züge transportieren kann, zeigt Joachim Ringelnatz in seinem Gedicht:
Das Mädchen mit dem Muttermal
Woher sie kam, wohin sie ging,
Das hab' ich nie erfahren.
Sie war ein namenloses Ding
Von etwa achtzehn Jahren.
Sie küßte selten ungestüm.
Dann duftete es wie Parfüm
Aus ihren keuschen Haaren.
Wir spielten nur, wir scherzten nur;
Wir haben nie gesündigt.
Sie leistete mir jeden Schwur
Und floh dann ungekündigt,
Entfloh mit meiner goldnen Uhr
Am selben Tag, da ich erfuhr,
Man habe mich entmündigt.
Verschwunden war mein Siegelring
Beim Spielen oder Scherzen.
Sie war ein zarter Schmetterling.
Ich werde nie verschmerzen,
Wie vieles Goldene sie stahl,
Das Mädchen mit dem Muttermal
Zwei Handbreit unterm Herzen.
© Ralf Schauerhammer
Ein Tanzbär war der Kett' entrissen,
Kam wieder in den Wald zurück,
Und tanzte seiner Schar ein Meisterstück
Auf den gewohnten Hinterfüßen.
"Seht", schrie er, "das ist Kunst; das lernt man in der Welt.
Tut mir es nach, wenns euch gefällt,
Und wenn ihr könnt!" Geh, brummt ein alter Bär,
Dergleichen Kunst, sie sei so schwer,
Sie sei so rar sie sei,
Zeigt deinen niedern Geist und deine Sklaverei.
Gotthold Ephraim Lessing
Der Madrigalvers kam im Barock aus Italien nach Deutschland, später wurden auch Vorbilder aus Frankreich aufgenommen. Das eingangs zitierte Gedicht ist von den Fabeln La Fontaines inspiriert. Später wandte sich Lessing von diesem Vorbild ab und schrieb seine Fabeln ungereimt.
Der Madrigalvers ist ein "freier Reimvers" in dem Sinne, dass die Zeilen zwar ein alternierendes Metrum (Jamben oder Trochäen) haben, aber ohne festgelegte Zahl der Hebungen. Und auch für die Reime besteht kein festes Schema, es können sogar ungereimte Zeilen vorkommen. Deswegen ist auch eine Einteilung dieser Gedichte in regelmäßige Strophen kaum möglich.
Der Madrigalvers wurde auch oft in Lehrgedichten verwendet und Goethe benutzt in meisterlich im Faust.
Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudiert die groß’ und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie’s Gott gefällt.
Vergebens dass ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur was er lernen kann;
Doch der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.
Heute wird diese Versart selten verwendet, was vielleicht auch daran liegt, dass heute der "Freie Vers" eine beliebte Alternative bietet.
© Ralf Schauerhammer
Ihr Augen voller Brunst und du, du Purpurmund,
Der braunen Suavien, die mir oft raten kunnt,
Und du, der weißen Auen
Benelkte Wangenzier:
Pfleg' ich euch anzuschauen
Ist nichts als Lust in mir.
Dich, Venus, und dein Kind ruf' ich zum Zeugen an,
Dass meiner Suavien ich bleibe zugetan.
Weil man mich wird behalten
Der greisen Ewigkeit,
Soll nichts an mir erkalten,
Mein Herzbrennt allbereit.
David Schirmer
Die sechszeilige Strophe beginnt mit zwei Alexandrinern im Paarreim und wird durch vier Zeilen aus dreihebigen Jamben im Kreuzreim abgeschlossen, was der Strophe eine dynamische Spannung gibt. In den Beispielen, die ich kenne, sind (wie im einleitenden Beispiel) alle Kadenzen männlich, außer der dritten und fünften Zeile, welche weiblich sind. Die Form wurde von Martin Opitz erfunden und in dem Gedicht "Ihr schwarzen Augen ihr, und du auch schwarzes Haar" veröffentlicht. Im Barock war diese Opitzstrophe sehr beliebt, wurde aber anschließend aber kaum noch verwandt.
© Ralf Schauerhammer
Pantunische Vokalwanderung
Ich wandere nach Afrika,
es liegt ja ziemlich in der Näh,
in dreizehn Wochen bin ich da,
wenn ich nur etwas zügig geh.
Es liegt ja ziemlich in der Näh,
ich kenne die Geographie.
Wenn ich nur etwas zügig geh,
verspüre ich mein rechtes Knie.
Ich kenne die Geographie,
den Körper kenn ich ebenso.
Verspüre ich mein rechtes Knie,
erreich ich bei Turin den Po.
Den Körper kenn ich ebenso.
Im Herzen find ich keine Ruh.
Erreich ich bei Turin den Po,
dann treffe ich auch bald ein Gnu.
Im Herzen find ich keine Ruh,
in dreizehn Wochen bin ich da.
Dann treffe ich auch bald ein Gnu.
Ich wandere nach Afrika.
Der Ursprung des Pantuns ist der malaiische Sprachraum, wo es Bestandteil gesellschaftlicher Bräuche war, und teilweise bis heute noch ist, zum Beispiel als Wechselgesang zwischen Gruppen von jungen Männern und Frauen am Festtag des "Seewürmerfangens" (Bau Nyale). Die Form des Pantuns mit seinen vielen Refrains ist daher vom Wechselgesang geprägt. Man kann sich das so vorstellen: Die eine Gruppe singt die erste, immer vierzeilige Strophe des Pantuns, und dann greift die zweite Gruppe die zweite und vierte Zeile auf, welche in der Antwort der zweiten Strophe die erste und dritte Zeile bilden, und durch neue zweite du vierte Zeilen ersetzt werden. Diese neuen Zeilen greift nun die erste Gruppe wieder als Refrain auf und bildet zwei weiter Zeilen, usw.
Es entsteht auf dies Weise die folgende Form des Pantuns:
Strophe 1 Zeile 1 Reim A
Strophe 1 Zeile 2 Reim B
Strophe 1 Zeile 3 Reim A
Strophe 1 Zeile 4 Reim B
Strophe 1 Zeile 2 Reim B
Strophe 2 Zeile 2 Reim C
Strophe 1 Zeile 4 Reim B
Strophe 2 Zeile 4 Reim C
Strophe 2 Zeile 2 Reim C
Strophe 3 Zeile 2 Reim D
Strophe 2 Zeile 4 Reim C
Strophe 3 Zeile 4 Reim D
usw.
Für die Schlussstrophe wird folgende Form gewählt:
Vorletzte Strophe Zeile 2 Reim X
Strophe 1 Zeile 3 Reim A
Vorletzte Strophe Zeile 4 Reim X
Strophe 1 Zeile 1 Reim A
Das Pantun kann beliebig viele Strophen haben, mindestens jedoch vier Strophen, und auch das Metrum ist beliebig, jedoch in allen Strophen gleichbleibend.
Wegen der vielen wörtlich wiederholten Refrainzeilen, die bei der Wiederholung nur geringfügig verändert werden dürfen, eignet sich das Pantun für spielerische Gedichte, wie z.B. in dem einleitenden Beispiel von mir, wo die Reimworte der jeweils neuen Zeilen 2 und 4 durch die Vokalreihe AEIOU laufen. Aber auch Themen, die eine gewisse Besessenheit zum Ausdruck bringen bieten sich wegen der Wiederholungen an.
Wiederfinden
Mein Strumpf, mein Strumpf, mein Strumpf ist weg,
ich suche hier, ich suche dort;
er war am rechten Ort und Fleck,
nun ist er wohl für immer fort.
Ich suche hier, ich suche dort,
ich suche schon seit sieben Stunden –
nun ist er wohl für immer fort –
ich hab ihn nirgendwo gefunden.
ich suche schon seit sieben Stunden,
die Suche hat wohl keinen Zweck.
Ich hab ihn nirgendwo gefunden.
Und auch mein rechter Schuh ist weg.
Die Suche hat wohl keinen Zweck.
Wer hat mir das bloß angetan?
Und auch mein rechter Schuh ist weg.
Herrje! Ich habe ihn schon an!
Wer hat mir das bloß angetan?
Er war schon längst am rechten Fleck!
Ich habe meinen Stumpf schon an!
Mein Strumpf, mein Strumpf, ist doch nicht weg.
Die Form verleitet zu einer gewissen Statik und macht es schwierig dynamische Veränderungen auszudrücken, weil ja die erste und letzte Zeile identisch sind. Gelingt es, eine mehrdeutige Zeile zu finden, kann die weiderholte letzte Zeile in einem neuen Licht erscheinen, und auf diese Weise das statische Moment der Form ausgehebelt werden.
Im Jahr 2020 wurde das Pantun übrigens in die UNESCO-Liste des dringend erhaltungsbedürftigen Immateriellen Kulturerbes aufgenommen – vielleicht auch ein Grund, ab und zu ein Pantun zu schreiben.
© Ralf Schauerhammer
Lobe den Herrn, meine Seele! / Herr, mein Gott, wie groß bist du! / Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet.
Du hüllst dich in Licht wie in ein Kleid, / du spannst den Himmel aus wie ein Zelt
Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser. / Du nimmst dir die Wolken zum Wagen, / du fährst einher auf den Flügeln des Sturmes.
Du machst dir die Winde zu Boten / und lodernde Feuer zu deinen Dienern…
Ich will dem Herrn singen, solange ich lebe, / will meinem Gott spielen, solange ich da bin.
Möge ihm mein Dichten gefallen. / Ich will mich freuen am Herrn.
Doch die Sünder sollen von der Erde verschwinden / und es sollen keine Frevler mehr da sein. / Lobe den Herrn, meine Seele! / Halleluja!
Psalm 104, die ersten und die letzten drei Verse.
Das wesentliche Merkmal des Psalms besteht darin, dass es sich um eine ganz persönliche Anrufung eines Gegenübers, nämlich Gottes, handelt. Deswegen beginnen die Psalmen, mit einer Anrede und einer Schlussformel, die meistens eine Lobpreisung des göttlichen Gegenübers ist. So wie wir es z.B. in Briefen machen, deren Inhalt zwischen "Sehr geehrt" und "Hochachtungsvoll", oder persönlichern Formen der Anrede, steht.
Um die innere Form der Psalmenstrophe zu erfassen, muss man beachten, dass Psalmen ursprünglich gesungen wurden, nicht Gesprochen. Die Phrasierung erfolgt durch feststehende, rezitativähnlich Melodiemuster, welche für den Vortrag gewählt wurden. Die melodischen Muster ergeben Verse, welche beim reinen Lesen und Sprechen des Textes bisweilen nicht deutlich zum Vorschein treten, auch ist bisher kein festes Metrum erkannt worden. Da er damals noch keinen Endreim gab, sind auch dadurch die Verszeilen nicht eindeutig zu bestimmen. Trotzdem lassen sich deutliche Sprachstrukturen der Psalmenverse erkennen. Die Psalmenverse sind, wie alle Vers, in zwei Teile geteilt. Das wesentlichste Strukturmerkmal besteht darin, dass sich beiden Vershälften entsprechen. Die Entsprechung kann in einer Wiederholung des Themas der ersten Zeile bestehen, oder in einem Gegensatz dazu, sowie bisweilen darin, dass die Aussage der ersten Zeile entsprechend weitergeführt wird. Es kommt auch vor, dass zur Verstärkung der Aussage die zweite Verszeile durch eine wiederholende dritte Zeile ergänz wird.
Wenn Psalmen nicht mehr gesungen werden, sondern allein das gesprochene Wort wirken soll, was ja heute beim Schreiben von Psalmen gilt, dann müssen die Verse durch zusätzlich Merkmale, wie z.B. Metrum, Wiederholungen oder Vokalklang deutlich gemacht werden. Uwe Kolbe verwendet manchmal sogar den Endreim.
Abschließen möchte ich einen meiner Psalmen, als Anregung diese Form heute zu wagen, anfügen.
Herr, Schöpfer der Welt,
lass mich dich lobpreisen.
Wie schön sind deine Werke!
Wie schön der türkisblaue Himmel,
der mit rosa Wolkenschleiern
die Sonne ankündigt.
Wie schön die rote Glut
hinter verträumten Bäumen
wenn die feine Sichel des Mondes
schüchtern hervortritt.
Wie schön der freundliche Blick,
das liebevolle Wort,
in dem du, Herr, dich offenbarst.
Schöpfer der Welt,
dich lobpreise ich.
© Ralf Schauerhammer
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuss der ganzen Welt!
Brüder – überm Sternenzelt
Muss ein lieber Vater wohnen.
Friedrich Schiller, Chorstrophen der Ode an die Freude
Die Quadrain-Strophe ist ein vierhebiger Vierzeiler mit umarmendem Reim, wobei die erste und vierte Zeile weilblich Kadenz haben, und die beiden Mittelzeilen männliche. Das Metrum ist trochäisch. Das verleiht der Strophe eine sehr abgeschlossene Form, welche Schiller in dem einleitenden zitierten Beispiel der Chorstrophen seiner "Ode an die Freude" als Kontrast zu seinen sehr dynamischen Odenstrophen nutzt. Auch für mehrstrophige Gedichte eignet sich diese Form besonders, wenn mit einer Sentenz abgeschlossen werden soll, wie z.B. in Christian Morgensterns Gedicht "Der Meilenstein", das mit der Zeile endet: "Erst das Auge schafft die Welt."
Der Ursprung dieser Form liegt, wie der Name andeutet, in Frankreich. Sie wurde von Martin Opitz in die deutsche Poesie übertragen. Er hielt sie wegen des erwähnten geschlossenen Charakters besonders für Epigramme geeignet. Bei Opitz trug die Form übrigens noch fünfhebige Jamben. Diese ursprüngliche Form verschwand nach dem Barock, tauchte jedoch im 19. Jahrhundert wieder auf, wie folgende Strophe aus Hermann Hesses Gedicht "Der Dichter und seine Zeit" zeigt.
Dir muss genügen, auf verlorenem Posten,
Der Welt zum Spott, nur deines Rufs bewusst,
Auf Glanz verzichtend und auf Tageslust,
Zu hüten jene Schätze, die nicht rosten.
© Ralf Schauerhammer
Ce n'est pas drôle de mourir
Et d'aimer tant de choses :
La nuit bleue et les matins roses,
Les fruits lents à mûrir.
Paul-Jean Toulet
Es ist doch seltsam, plötzlich sind wir tot,
obwohl man viele Dinge liebt,
wie spätgereife Früchte, die es gibt,
und blaue Nacht, und Morgenrot.
Übertragung von Ralf Schauerhammer
Die Strophenform "Querzeiler" ist sehr selten und kommt im Deutschen kaum vor, weshalb das einleitende Beispiel aus dem Französischen gewählt wurde. Es ist die Anfangsstrophe eines Gedichtes von Paul-Jean Toulet, der mehrere Gedichte in dieser lyrischen Form schrieb und ihr den Namen "Contrerime" (im Deutschen "Querzeiler" ) gegeben hat.
Es handelt sich um einen Vierzeiler mit umarmendem Reim, d.h. erste und vierte Zeile reimen sich und die zweite und dritte: ABBA. Das wesentliche Charakteristikum dieser lyrischen Form besteht drin, dass sich (im "Widerspruch" zum Reimschema) die Anzahl der Hebungen der ersten und dritten Zeile von der Anzahl der Hebungen der zweiten und vierten Zeile unterscheiden. Das Metrum läuft also "quer" zum Reimschema, wodurch eine Schwebung entsteht, die für die Darstellung bestimmter Stimmungen gut geeignet ist.
Im engeren Sinn bestehen die erste und dritte Zeile jeweils aus vier Jamben und die zweite und vierte jeweils aus drei Jamben, es folgt also auf eine achtsilbige Zeile eine mit sechs Silben, dann wieder eine mit acht Silben, und danach wieder eine mit sechs Silben.
Die Form behält jedoch ihren Charakter bei, wenn das Metrum allgemeiner gefasst wird. So können z.B. anstatt Jamben auch Trochäen oder Daktylen gewählt werden, die Kadenzen können wechseln und vor allem kann die Anzahl der Hebungen variieren, solange sie in den geraden und ungeraden Zeilen jeweils gleich ist. Die schwebende Wirkung wird sogar verstärkt, wenn der Unterschied der Hebungsanzahl größer ist, also z.B. 5 zu 3 Hebungen, oder gar 5 zu 2 Hebungen. Das umarmende Reimschema muss jedoch unverändert erhalten bleiben.
© Ralf Schauerhammer
Nachtschatten.
Erinnerst du dich, fernes Mädchen, noch,
wie lieb wir uns einst hatten?
Christian Morgenstern
Maienglocken,
Ich seh euch jetzt verlassen blühn im Garten.
Sonst hieltet ihr euch gern zu braunen Locken.
Theodor Storm
Blumen im Garten!
Ihr zeigt ein einzig Bild mir aller Orten,
Und seid nur scheinbar von verschiednen Arten.
Friedrich Rückert
Das Ritonell kommt aus dem Italienischen und besteht im Deutschen fast immer aus einer einzigen, epigrammartigen Strophe mit drei Zeilen, wovon die erste kürzer ist, als die beiden folgenden. Es reimt sich nur die erste mit der letzten Zeile, die zweite Zeile ist ein Waise. Das Metrum ist beliebig, oft jambisch.
© Ralf Schauerhammer
Das Schloss am Meere
Hast du das Schloss gesehen,
Das hohe Schloss am Meer?
Golden und rosig wehen
Die Wolken drüber her.
Es möchte sich niederneigen
In die spiegelklare Flut;
Es möchte streben und steigen
In der Abendwolken Glut.
"Wohl hab’ ich es gesehen,
Das hohe Schloss am Meer,
Und den Mond darüber stehen,
Und Nebel weit umher."
Der Wind und des Meeres Wallen
Gaben sie frischen Klang?
Vernahmst du aus hohen Hallen
Saiten und Festgesang?
"Die Winde, die Wogen alle
Lagen in tiefer Ruh,
Einem Klagelied aus der Halle
Hört' ich mit Tränen zu."
Sahest du oben gehen
Den König und sein Gemahl?
Der roten Mäntel Wehen?
Der goldnen Kronen Strahl?
Führten sie nicht mit Wonne
Eine schöne Jungfrau dar,
Herrlich wie eine Sonne,
Strahlend im goldnen Haar?
"Wohl sah ich die Eltern beide,
Ohne der Kronen Licht,
Im schwarzen Trauerkleide;
Die Jungfrau sah ich nicht."
Ludwig Uhland
Die Romanze entstand im 14. Jahrhundert, vielleicht sogar schon im 10. bis 12. Jahrhundert, in Spanien und war eine volkstümliche Form. In der deutschen Dichtung wurde sie vor allem durch Johann Gottfried Herder heimisch, der die berühmte Romanze "Der Cid" ins deutsche übertrug. Für seine Romanzen verwendete Herder nach dem Vorbild des spanischen Metrums vierhebige Trochäen, meist Reimlos oder assonierend, wodurch er diese Form von der Ballade unterschied.
Die Romanzenstrophe wurde von den Romantiker begeistert aufgegriffen und verändert, indem Kreuzreime eingeführt wurden, so dass sich der Unterschied zur Ballade vermischte. Goethe verwendet z.B. die Worte Ballade und Romanze gleichbedeutend. Man kann sogar die den Kreuzreim tragenden Formen, "Suleikastrophe", mit abwechselnd weiblich-männlichem Endreim und die "Schenkenstrophe" durchgehend mit weiblichem Endreim als Sonderformen der Romanzenstrophe auffassen.
Heinrich Heine verwendete die Romanzenstrophe oft, und wie das folgende Beispiel zeigt, auch wieder ungereimt.
Der Asra
Täglich ging die wunderschöne
Sultanstochter auf und nieder
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern.
Täglich stand der junge Sklave
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern;
Täglich ward er bleich und bleicher.
Eines Abends trat die Fürstin
Auf ihn zu mit raschen Worten:
Dies "Deinen Namen will ich wissen,
Deine Heimat, deine Sippschaft!"
Und der Sklave sprach: "Ich heiße
Mohamet, ich bin aus Yemmen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben."
Nach der Romantik kommt diese Strophenform im Deutschen nur noch selten vor.
© Ralf Schauerhammer
Von allen Menschen, die ich je gekannt,
Ich nur zwei Menschen glücklich fand.
Den, der der Welt Geheimnis tief erforscht,
Und den, der nicht ein Wort davon verstand.
Omar Khayyâm
Die alte persische Strophenform des Rubai ist ein Vierzeiler, und das Wort Rubai steht im Arabischen für "Vier". Alle Zeile tragen den identischen Reim, jedoch die dritte Zeile ist sehr oft reimlos, was inhaltlich zu begründen ist, denn diese Form wurde hauptsächlich für Lehrgedichte und Sinnsprüche verwendet, und in der dritten Zeile tritt normalerweise ein neuer Gedanke auf, worauf die letzte Zeile als eine Art Zusammenfassung folgt.
Über die Metrik gibt es kaum Angaben, vermutlich waren es früher hauptsächlich sechshebige Zeilen, aber es kommen auch kürzere Zeile vor.
Der heute bekannteste Autor dieser Gedichtgattung ist Omar Khayyâm, er lebte im von 1045 bis 1122 und war eine sehr interessante Person. Er war ein Naturwissenschaftler, Mathematiker und freigeistiger Spruchdichter, seine Kalenderreform übertraf die des gregorianischen Kalenders an Genauigkeit. Er schuf auch ein Werk der Algebra, in dem er die allgemeine algebraische Gleichung dritten Grades mithilfe von Kegelschnittkurven löste.
Hier noch einige seiner geistreichen und wunderschönen Rubaistrophen in deutscher Übertragung, veröffentlicht vom "Khajjam Kulturverein e.V." :
Ich fragte die Welt, die alte,
Was sie als Bestes enthalte
In ihrem großen Gebäude.
Sie sagte: Des Herzens Freude.
Der ganzen Schöpfung letzter Zweck sind wir,
Im Weltenauge sind die Sehkraft wir.
Die ganze Welt ist wie ein großer Ring,
Wir sind der Edelstein, des Ringes Zier.
Der Tropfen weint; Wie bin vom Meer ich weit!
Das Weltmeer lacht: Vergeblich ist dein Leid!
Sind wir doch alle Eins, sind alle Gott –
Uns trennt ja nur das winz'ge Pünktchen Zeit.
© Ralf Schauerhammer
Ewigklar und spiegelrein und eben
fließt das zephirleichte Leben
im Olymp den Seligen dahin.
Monde wechseln und Geschlechter fliehen,
ihrer Götterjugend Rosen blühen
wandellos im ewigen Ruin.
Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden
bleibt dem Menschen nur die bange Wahl;
auf der Stirn des hohen Uraniden
leuchtet ihr vermählter Strahl.
Friedrich Schiller verwendete diese neue Strophenform erstmals 1795 in seinem didaktisch-lyrischen Gedicht "Das Ideal und das Leben". Weite Verbreitung fand sie aufgrund des strengen Schemas nicht.
Jede Strophe besteht aus 10 trochäischen Versen. Den ersten beiden Versen im Paarreim folgen vier Verse im umarmenden Reim und vier Verse im Kreuzreim mit der Reimfolge aa bccb dede, wobei dir Kadenzen durch das Schema ww mwwm wmwm festgelegt sind. Trotz seiner Strenge erlaubt diese Form ein hohes Maß an rhythmischer Freiheit und Dynamik, welches man am besten an den verschieden Strophe von Schillers "Ideal und das Leben" studiert. die erste Strophe davon ist eingangs zitiert.
Versmaß (Reim/Kadenz/Versfüße)
XxXxXxXxXx (a/w/5)
XxXxXxXx (a/w/4)
XxXxXxXxX (b/m/5)
XxXxXxXxXx (c/w/5)
XxXxXxXxXx (c/w/5)
XxXxXxXxX (b/m/5)
XxXxXxXxXx (d/w/5)
XxXxXxXxX (e/m/5)
XxXxXxXxXx (d/w/5)
XxXxXxXx (e/m/4)
© Ralf Schauerhammer
Letzte Liebe
Der kühle Winter kam zu bald;
das Herz der Liebsten wurde kalt,
und zog in weite Ferne.
Es schlug sein wundes Herz ihr nach,
obwohl sie ihm die Treue brach,
ihr nach, in weite Ferne.
Es folgte über Land und Meer
und kämpfte mit den Winden;
es wurde schließlich matt und schwer,
und konnte sie nicht finden.
Im Ufernebel schwankende Gestalten,
Der Kahn, kaum festgehalten,
war hoffnungsmorsch und alt,
das Wasser tief und kalt.
Der Name „Schillerton“ weist schon darauf hin, dass es sich um eine sehr alte Form handelt. Sie ist nach dem Meistersänger Jörg Schilher (auch Schiller) benannt, der im 15. Jahrhundert lebte und diese Form nicht nur nutzte, sondern sie wahrscheinlich sogar erfunden hat.
Die Strophe besteht aus 14 jambischen Zeilen mit einem interessanten Reimschema, welches eine dreiteilige Phrasierung nahelegt, nämlich eine sechszeiligen Beginn im Schweifreim, einen vierzeiligen Mittelteil im Kreuzreim und einen vierzeiligen Abschluss im Paarreim.
Die Anzahl der Hebungen unterstützen diese Phrasierung, und lässt vermuten, dass die Strophe einstmals tatsächliche gesungen oder mit einem Instrument begleitet wurde.
Im Schweifreimteil haben die erste, zweite, vierte und fünfte Zeile vier Jamben mit betontem Ende und die dritte und sechste Zeile drei Jamben mit unbetontem Ende.
Im Kreuzreimteil wird dieses Muster fortgesetzt, indem dort die erste und dritte Zeile vier Jamben mit betontem Zeilenende hat und die zweite und vierte Zeile hat drei Jamben mit unbetontem Zeilenende. Es wirkt als Verdichtung des Anfangs.
Darauf folgt in den vier Paarreimzeilen ein kompakter Schluss, dessen Wirkung verstärkt wird, indem die erste Zeile mit fünf Jamben und unbetontem Zeilenende länger ist als alle anderen, d.h. eine Verzögerung eintritt. Sie ist gefolgt von drei kurzen Zeilen mit jeweils nur drei Jamben, wobei die beiden letzten Zeilen mit betonten Enden den Schluss deutlich markieren.
Jörg Schilher schlug in seinen Strophen volkstümliche Töne an. Er liebte die Satire und schonte nicht den habgierigen Klerus, die unkeuschen Mönche, die Nachts wie Fledermäuse auf der Straße schwärmen, die betrügerischen Kaufleute, die leichtfertigen Frauen und Mädchen. Leder konnte ich bisher kein Gedicht von ihm finden, sondern nur die Beschreibung seiner Strophenform, die geradezu zum Nachdichten anregt.
© Ralf Schauerhammer
Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.
Matthias Claudius
Das Wort "Schweifreim" drückt den Charakter dieser Strophenform gut aus. Im Althochdeutschen bedeutet "sweif" Schuhband, d.h. die Form hat etwas bindendes, und im Mittelhochdeutsch stand "sweif" für eine schwingende Bewegung, d.h. die Strophe hat auch schwingenden Charakter. Dieser doppelte Charakter ist am einleitenden Beispiel schön zu erkennen, das Gedicht ist übrigens das mit Abstand meistgelesene und abgedruckte Gedicht der deutschen Poesie.
Der Schweifreimstrophen-Charakter entsteht durch das Reimschema, bei dem einem Paarreim in der dritten Zeile ein Reim folgt, dessen Partner erst nach einem weiteren Paarreim in der Schlusszeile folgt. Daraus erklärt sich der einerseits im Dreischritt schwingende, andererseits der durch das dritte und letzte Zeilenpaar gebunden Charakter. Die Schweifreimstrophe hat dadurch einen starken Abschluss, was ihre Beliebtheit bei Volksliedern und auch Kirchenliedern erklärt.
Außer dem festen Reimschema aabccb ist die Form Variantenreich, die Zeilen können männliche und weibliche Kadenz haben, entweder durchgängig oder im Wechsel. Auch die Anzahl der Hebung ist nicht festgelegt und das Metrum ist meistens jambisch, aber nicht immer. Einige der zahlreichen Varianten der Schweifstrophe tragen sogar gesonderte Namen, wie z.B. die Stabat-Mater-Strophe, aber der gebunden-schwingende Charakterzug ist ihnen allen eigen.
Oft wird der Schweifreim formal als Kombination aus einem Paarreim und einem folgenden umarmendem Reim beschrieben. Die erste Phrase der Strophe reicht jedoch normalerweise bis ans Ende der dritten Zeile, und obwohl es auch einige wenige Gedichte gibt, bei denen die ersten beiden Zeilen der Schweifreimstrophe eine Phrase bilden, wird diese formale Zusammensetzung der Form nicht gerecht.
© Ralf Schauerhammer
Sestine der Sehnsucht
Aus einem Fenster bog ich mich hinaus
auf Nacht und Gärten, wo kein Vogel singt;
ich fing den schweren Ton, der in mir schwingt
bei allem Wunder, das schön träumen macht;
bei mir war Nacht und über dir war Nacht,
mein Haus weiß jeden Stern von deinem Haus.
So schön wie schwere Träume ist mein Haus,
auf ewige Gärten legt es sich hinaus,
von grauem Mondlicht trunken und von Nacht
saugt es den Ton, den es sich selber singt,
und Büsche, die der Wind melodisch macht,
und Wind, der durch die finsteren Fenster schwingt.
Von dir den Ton, der durch den Wind hin schwingt,
mein Herz weiß ihn, und so weiß ihn mein Haus:
Was schwellen macht und was aufschreien macht,
schwirrt durch ihn hin und reißt mich so hinaus,
wie nichts hinreißen kann, was dunkel singt,
schluchzend und tief tief jubelnd durch die Nacht.
Also voll ist mein Haus von dir bei Nacht:
Mit Tanz von dir, der durch die Kammern schwingt
mit einer Geige, die sich lang aussingt -
auf die Nachtwiesen wirft mein schweres Haus
ausbrechende Musik von dir hinaus,
und weiß vom Morgen nicht, der schauern macht.
Nacht über Nacht! Und Dunkel, das sie macht!
So schlief mein Herz im runden Busch der Nacht!
So, sternedurstig, wagt es sich hinaus
und fasst sich nicht, und zittert noch, und schwingt
sich dunkel rufend vor dein fremdes Haus
und singt in allen Schall, der drinnen singt -
o um ein Lied, das sich in Worten singt!
Nur Melodie, die Seele zu sich macht,
Weinen und Lachen wandert durch Dein Haus!
Und wirft sich her, Antwort durch dunkle Nacht -
nichts als ein Flügel, der aufhebt und schwingt,
nichts als "Hinaus"! und "Hin!" und nur "Hinaus!"
Süße, dies Lied will über sich hinaus,
ein Kind ist so, das sich die Angst fortsingt -
durch schwere Nacht verschollener Gärten schwingt
so tödliches Wirbeln, das die Luft stehen macht!
Ein wonniger Vogel singt in deine Nacht,
ein Kind fällt hin, und schläft vor deinem Haus.
Rudolf Borchardt
Die Sestine ist eine alte, sehr kunstvolle Gedichtform, welche aus sechs sechszeiligen Strophen besteht und durch eine dreizeilige Koda abgeschlossen wird. Der Erfinder dieser Form war der Dichter Arnaut Daniel, der im 12. Jahrhundert lebte. Viele Dichter, u.A. Dante Alighieri und Francesco Petrarca nahmen diese Form auf. In der Folgezeit verschwand diese Form jedoch immer mehr, und obwohl sie in der Romantik aufgegriffen wurde, entstanden danach kaum noch Sestinen.
Kennzeichen der Sestine ist die Wiederkehr der Reimworte der ersten Strophe in allen Folgestrophen und in der Koda. D.h. die Reime sind strophenübergreifend, und nicht nur Reime, sondern Wiederholung des Reimwortes. Die Reimworte stehen aber nicht in der gleichen Reihenfolge, sondern werden nach einem bestimmten Muster permutiert. Es gibt verschiedene Muster, aber das häufigste ist das folgende:
Das Reimwort der ersten Zeile wandert in der Folgestrophe zur zweiten Zeile.
Das Reimwort der zweiten Zeile wandert in der Folgestrophe zur vierten Zeile.
Das Reimwort der dritten Zeile wandert in der Folgestrophe zur sechsten Zeile.
Das Reimwort der vierten Zeile wandert in der Folgestrophe zur fünften Zeile.
Das Reimwort der fünften Zeile wandert in der Folgestrophe zur dritten Zeile.
Das Reimwort der sechsten Zeile wandert in der Folgestrophe zur ersten Zeile.
In der Koda erscheinen die Reimworte, und zwar jeweils zwei in einer Zeile, wieder in der Reinfolge der ersten Strophe
Das Metrum der Zeilen war im Barock der Alexandriner, in der Romantik wurde der fünfhebige Jambus verwandt, was dem der italienischen Form näher kommt. Das einleitende Beispiel von Rudolf Borchardt habe ich gewählt, obwohl die Koda fehlt, weil es zeigt, dass auch im letzten Jahrhundert Dichter noch Sestinen geschrieben haben.
© Ralf Schauerhammer
Das Bild
Sie stehn vor deinem Bild und schauen
In dein verschleiert Augenlicht,
Sie prüfen Lippe, Kinn und Brauen
Und sagen dann: Du sei'st es nicht;
Zu klar die Stirn, zu voll die Wange,
Zu üppig in der Locken Hange,
Ein lieblich fremdes Angesicht.
Der Siebenzeiler ist eine alte Strophenform, welche vor allem eine deutsche Kirchenliedstrophe war, bekannt ist z.B. "Es ist ein Ros entsprungen". In der Klassik und Romantik wurde diese Form wieder vereinzelt aufgegriffen, nun mit weltlichen Inhalt. Es gibt verschiedene Reimformen, welche jedoch alle mit vier Zeilen im Kreuzreim beginnen. Die Siebenzeilern aus neuerer Zeit folgen fast immer das Reimmuster ababccb(x) und das Metrum ist jambisch, wie z.B. in Goethes Der Sänger oder das eingangs zitierte Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff.
Um sich der Wirkung dieser Form zu nähern, kann man sie sich als Zusammensetzung einer Kreuzreim-Strophe (abab) und eines umarmenden Reims (bccb) entstanden denken, wobei die mittlere Zeile doppelt Verwendung findet.
Eine andere Vorstellungen wäre ein sechszeiliger Kreuzreim, bei dem die vorletzte Zeile durch den Paarreim (cc) ersetzt ist und ein retardierendes Moment erzeugt. Das gleiche vermittelt die erstere Vorstellung, wo die Dynamik der Kreuzreime durch die umarmenden Reime zur Ruhe geführt wird.
© Ralf Schauerhammer
Ich will aufs Grab dir duft'ge Blüten streuen,
O Blüte, die der Tod in Staub gestreut!
Das Blumenopfer will ich dir erneuen,
So oft der Lenz sein Blumenreich erneut.
Wie sollt ich, Blumen, euch zu brechen scheuen,
Da sie zu brechen nicht der Tod gescheut?
Für sie zu sterben sollt ihr nun euch freuen,
Weil ohne sie euch doch zu blühn nicht freut.
Friedrich Rückert
Die Siziliane entstammt der sizilianischen Volksdichtung, es ist eine häufig vorkommende Art der recht variablen Form des Strambotto, welches bisweilen auch mehr als acht Zeilen hatte. Die Strophe der Siziliane besteht aus acht Zeilen, üblicherweise Endecasillabi. Der Endecasillabo ist ein elfsilbiger Vers im Jambus und hat in der italienischen Siziliane immer durchgehend weibliche Kadenz. Im Deutschen haben die geraden Zeilen oft männliche Kadenz.
Das Reimschema ähnelt dem der Stanze. Statt des abschließenden Reimpaares CC wird in der Siziliane aber der Kreuzreim AB bis zum Strophenschluss fortgeführt, also: ABABABAB.
Folgendes ist mein Versuch heute noch in dieser Form zu schreiben:
Sturmzeit
Der Sturm zerfetzt die Kronen alter Bäume
und reißt die jungen Triebe mit sich fort,
treibt Fluten durch vom Deich geschützte Räume,
und wer auf See bleibt, wirft er über Bord.
Die Angst versetzt die Bilder meiner Träume
an einen folterblutig toten Ort,
und Hoffnung kriecht in feste Kellerräume.
Wer bannt den Sturm mit einem Zauberwort?
und Hoffnung kriecht in feste Kellerräume.
Wer bannt den Sturm mit einem Zauberwort?
© Ralf Schauerhammer
Natur und Kunst
Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen,
und haben sich, eh' man es denkt, gefunden;
der Widerwille ist auch mir verschwunden,
und beide scheinen gleich mich anzuziehen.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemessnen Stunden
mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
mag frei Natur im Herzen wieder glühen.
So ist's mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
nach der Vollendung reiner Höhe streben.
Wer Großes will, muss sich zusammen raffen;
in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
Johann Wolfgang Goethe
Es wurden in der Vergangenheit in vielen Ländern unzählige Gedichte in der Form des Sonetts geschrieben, und auch heute noch entstehen viele Sonette unterschiedlicher Qualität. Im Verlauf der Zeit hat sich die äußere Form des Sonetts häufig und stark gewandelt, trotzdem ist es seinem Wesen treu geblieben, deshalb ist es ein schönes Beispiel dafür, was die poetische "Form" eigentlich ausmacht.
Form ist nichts Äußerliches, sondern ein inneres Gestaltungsprinzip, welches dann zu äußeren Merkmalen führt, die fleißig in Poetiken gesammelt werden. So ist die Form eines Eichenbaums schon in der Eichel angelegt, aus jeder Frucht entsteht ein ganz eigener Baum, der sich in Anzahl und Form der äußeren Äste und Blätter unterscheidet, aber immer als Eiche erkennbar bleibt. Das Gegenstück zur inneren Form ist ein französischer Garten, bei dem die Bäume mit äußeren Schablonen in "Formen" zurechtgestutzt werden. In der Poesie sollten wir keine französischen Gärten finden, sondern die lebendige Form, wie wir sie anhand des Sonetts und seiner Entwicklung erkennen können.
Die Entstehung des Sonetts im 13. Jahrhundert am Hofe des Stauferkaisers Friedrich II. in Sizilien verrät uns einen wesentlichen Formgedanken des "Samens". Als Erfinder gilt der Hofbeamte und Notar Giacomo da Lentini. Raoul Schrott hält es in seinem Buch "Die Erfindung der Poesie" für am wahrscheinlichsten, "dass das Sonett aus dem strambotto entstanden ist, einer volkstümlichen sizilianischen Liedform,… ihre acht elfsilbigen Verse in der Reimfolge ABABABAB entsprechen exakt der Oktave… Die Erfindung des Sonetts bestand also im Wesentlichen darin, eine verbreitete Volksliedform aufgegriffen (was auch durch den Namen Sonett=Klanggedicht plausibel erscheint) und durch ein Sextett erweitert zu haben." Dabei hatte das Sextett die Funktion einer "volta" (Refrain), was in Lentinis ersten Sonetten deutlich wird. Hier eines in der Übertragung von Raoul Schrott:
So wie der schmetterling – ihm seine natur
und die bravour – vor feuer keine furcht zu kennen
so habt ihr mich gemacht – sanfte kreatur:
ihr bleibt stur – selbst wenn meine flügel brennen
Mut fasst sich mein herz in eurer nähe nur
der glut ihr purpur – will es sein spielzeug nennen
wie ein kind das noch nie schmerz erfuhr:
des lebens rezeptur? – weiter ins verderben rennen!
So ist das herz dass es nie hat wonach es sich verzehrt:
es stirbt versehrt von dieser sachten flamme
die das leben schenkt wie sie es wieder nimmt.
Die natur der liebe ist es dass sie's für sich begehrt:
denn was ihm schönheit lehrt ist die flamme
die das leben schenkt wie sie es wieder nimmt.
Die Vereinigung zweier Elemente, Oktave und Sextett, wird in Zukunft in allen guten Sonetten für eine positive Spannung dieser Form sorgen. Zwischen beiden Elementen ereignet sich ein Neuansatz des Gedankens, wobei dieser Neuansatz nicht unbedingt "antithetisch" sein muss, wie oft bezüglich der Sonettform behauptet wird. Es ist eher eine dialektische "Aufhebung" der Gedanken und Stimmungen des ersten Teils. In dem obigen Beispiel erhebt sich das Gedicht im Sextett von der rein subjektiven Sicht des Oktetts zur einer Betrachtung der allgemeinen Charakteristik von Liebe und Schönheit.
Auch in dem einleitend zitierten Sonett von Goethe wird die Überwindung des (in den beiden Quartetten als nur scheinbar erkannten) Gegensatzes von Natur und Kunst in den Terzetten "aufgehoben", wobei nun diese Synthese der Quartette in Bezug auf die Entwicklung der menschlichen Bildung insgesamt betrachtet wird, und das Überwinden der spielerisch gesetzten Schranken, bzw. Gesetze, als Voraussetzung für schöpferisches Handeln überhaupt erkannt wird.
Weite Verbreitung fand das Sonett in Italien durch Dante Alighieri und Francesco Petrarca, wobei sich die ursprünglichen Form aus Oktett im alternierenden Reim und Sextett mit verschränkten Reim sich in die Form aus zwei Quartetten im umschließenden Reim (ABBA), gefolgt von zwei Terzetten im verschränkten Reim wandelte.
Von Italien aus verbreitete sich das Sonett zuerst im romanischen Kulturraum, Spanien, Portugal, Frankreich und später in England. Nach Deutschland kam das Sonett auf dem Umweg über Frankreich.
In Frankreich erfolgte eine wesentliche Änderung beim Sprachrhythmus des Sonetts, welche dann auch in Deutschland übernommen wurde. Wurden in Frankreich Sonette ursprünglich an den in Italien verwendeten Endecasillabo angelehnt in zehnsilbigen Zeilen geschrieben, erfolgte ein Übergang zur Verszeile des Alexandriners. So schrieb z.B. Pierre Ronsard seine unter dem Titel "Amours" 1558 veröffentlichten Sonette in zehnsilbigen Zeilen, während die fünf Jahre später veröffentlichten "Amours de Marie" im Alexandriner, dem französischen "heroischen Vers", gedichtet wurden. Auch die Reimfolge in den Terzetten änderte sich in Frankreich. Es wurde vor allem die bei Petraca nicht vorkommende Folge des Schweifreims (ccd eed) verwandt, zusätzlich verwendete man abwechselnd männliche und weibliche Kadenzen. Trotz dieser deutlichen Veränderungen behielt das Sonett seine innere Formkraft bei.
In Deutschland wurde im Barock diese französische Form des Sonetts übernommen, wobei vor allem die Sonette von Andreas Gryphius große Verbreitung fanden, und noch heute gelesen werden, wie z.B.:
Es ist alles Eitel
Du siehst, wohin du siehst, // nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, // reißt jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn // wird eine Wiese sein,
auf der ein Schäferskind // wird spielen mit den Herden.
Was itzund prächtig blüht, // soll bald zertreten werden.
Was itzt so pocht und trotzt, // ist morgen Asch und Bein.
Nichts ist, das ewig sei, // kein Erz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an, // bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Thaten Ruhm // muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit // der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß // was wir vor köstlich achten/
Als schlechte Nichtigkeit // als Schatten/ Staub vnd Wind;
Als eine Wiesen-Blum // die man nicht wider find’t.
Noch wil was ewig ist // kein einig Mensch betrachten!
Der statische Charakter des Alexandriners entsprach wahrscheinlich in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges dem Bedürfnis nach Ruhe und Stetigkeit, was inhaltlich den religiösen Themen in Gryphius' Sonetten entgegen kam.
In den folgenden Jahrzehnten geriet das Sonett in Vergessenheit und wurde erst im späten 18. Jahrhundert wiederentdeckt. Nun wurde aber im Rückgriff auf die italienische und mittlerweile in England entstandene Form der jambische Fünfheber für die Sonettzeile gewählt. Wesentlich für die erneute Verbreitung waren die 1789 in einer Gedichtsammlung von Gottfried August Bürger enthaltenen Sonette.
In England erfuhr das Sonett durch William Shakespeare eine Weiterentwicklung von großer Tragweite, weshalb diese Form zu Recht den Namen Shakespeare-Sonett trägt. Shakespeare übernahm für die Quartette den alternierenden Reim des ursprünglichen Oktetts, wobei sich die Quartette durch den Wechsel des Reimes unterschieden. Vor allem verwandelte er jedoch das Sextett in ein weiteres Quartett, gefolgt von einem abschließenden Paarreim, dem Couplet. Dadurch entstand eine sehr dynamische Form des Sonetts, bei dem der Gedanke wie eine dreifache Welle strömt, um sich im Couplet geradezu zu überschlagen. Denn das Cuplet ist nicht nur eine finale Zusammenfassung, sondern es lässt fast immer die vorherigen Zeilen rückblickend in einem neuen Licht erscheinen, genauso wie es geschieht, wenn man eine neue Idee bekommt und dann auf deren Entstehung zurückblickt. Als Beispiel zitiere ich das Shakespeare-Sonett Nummer 66 gefolgt von einer Übertragung von mir.
SONNET 66
Tir'd with all these, for restful death I cry,
As, to behold desert a beggar born,
And needy nothing trimm'd in jollity,
And purest faith unhappily forsworn,
And guilded honour shamefully misplaced,
And maiden virtue rudely strumpeted,
And right perfection wrongfully disgraced,
And strength by limping sway disabled,
And art made tongue-tied by authority,
And folly (doctor-like) controlling skill,
And simple truth miscall'd simplicity,
And captive good attending captain ill:
____Tired with all these, from these would I be gone,
____Save that, to die, I leave my love alone.
Übertragung
Dies alles leid, ersehn ich Grabesruh;
so seht nur, wie Verdienst an Wert verliert
und kleine Nichtse zählen und Getu'
und Eitelkeit sich schamlos inszeniert
und man den reinen Glauben unterdrückt
und Frauenwürde Lust zum Opfer fällt
und man Vollkommenes bewusst zerstückt
und man der Tatkraft listig Fallen stellt
und man der Kunst das freie Wort verneint
und Dummheit sich als Wissenschaft geriert
und Wahrheit nur noch simple Einfalt scheint
und Übel über Gutes triumphiert:
____Dies alles leid, gäb ich mein Leben her
____wenn nicht die Liebste dann alleine wär.
Welch ein neues, mildes und liebevolles Licht werfen die beiden Schlusszeilen auf die verzweifelten drei Quartette zuvor!
Nebenbei sei erwähnt, dass in Deutschland der Wechsel des Reimes von einem Quartett zum anderen auch für die romanische Form des Sonetts übernommen wurde.
In welcher Weise wird sich das Sonett in Zukunft noch weiter entwickeln? Das ist schwer zu sagen, aber wir können anhand eines Sonetts von Rainer Maria Rilke studieren, wie "dehnbar" die Form noch ist.
O das Neue, Freunde, ist nicht dies,
dass Maschinen uns die Hand verdrängen.
Lasst euch nicht beirrn von Übergängen,
bald wird schweigen, wer das „Neue“ pries,
Denn das Ganze ist unendlich neuer,
als ein Kabel und ein Hohes Haus.
Seht, die Sterne sind ein altes Feuer,
und die neuern Feuer löschen aus.
Glaubt nicht, dass die längsten Transmissionen
schon des Künftgen Räder drehn.
Denn Aeonen reden mit Aeonen.
Mehr, als wir erfuhren, ist geschehn.
Und die Zukunft fasst das Allerfernste
rein in eins mit unserm innern Ernste.
Von der äußeren Form her gesehen ist das eigentlich kein Sonett mehr, das Metrum ist trochäisch, statt jambisch, die Reime der Quartette wechseln zwischen Kreuzreim und umschließendem Reim, die Anzahl der Hebungen pro Zeile wechselt, es stimmt also hinten und vorne nichts. Trotzdem können wir beim Lesen die innere Form des Sonetts aufspüren.
Anhand zweier Gedichte von Georg Heym möchte ich versuchen diesen Gedanken noch weiter zu verdeutlichen. Es sind die Gedichte "Die Stadt" und "Louis Capet", beide aus dem Jahre 1911. "Louis Capet" bezieht sich auf Ludwig XVI., der nach seiner Absetzung in Bezug auf den einstigen Ahnherrn des französischen Königshauses nur noch "bürgerlich" als "Louis Capet" angesprochen wurde. Seine Hinrichtung war am 21. Januar 1793.
Louis Capet
Die Trommeln schallen am Schafott im Kreis,
Das wie ein Sarg steht, schwarz mit Tuch verschlagen,
Drauf steht der Block. Dabei der offene Schragen
Für seinen Leib. Das Fallbeil glitzert weiß.
Von allen Dächern flattern rot Standarten.
Die Rufer schrein der Fensterplätze Preis.
Im Winter ist es. Doch dem Volk wird heiß,
Es drängt sich murrende vor. Man lässt es warten.
Da hört man Lärm. Er steigt. Das Schreien braust.
Auf seinem Karren kommt Capet, bedeckt,
Mit Kot beworfen und das Haar zerzaust.
Man schleift ihn schnell herauf. Er wird gestreckt.
Der Kopf liegt auf dem Block. Das Fallbeil saust.
Blut speit sein Hals, der fest im Loche steckt.
Die Stadt
Sehr weit ist diese Nacht. Und Wolkenschein
Zerreißet vor des Mondes Untergang.
Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang
Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein.
Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt,
Unzählig Menschen schwemmen aus und ein.
Und ewig stumpfer Ton von stumpfem Sein
Eintönig kommt heraus in Stille matt.
Gebären, Tod, gewirktes Einerlei,
Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei,
Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei.
Und Schein und Feuer, Fackeln rot und Brand,
Die drohn im Weiten mit gezückter Hand
Und scheinen hoch von dunkler Wolkenwand.
"Die Stadt" ist ein Sonett, und wie ich denke sogar ein sehr gutes Sonett. Die Metapher der "organ-isierten" der Stadt in den ersten beiden Strophen ist Voraussetzung für die "Aufhebung" des Themas, in dem "Verschlingen" der Individuen, von Geburt und Tod, und schließlich das Feuer-Inferno, welches es mir – der den Feuersturm des Bombenkrieges kennt, den Heym vierzig Jahre zuvor scheinbar poetisch erahnte – eiskalt den Rücken herunterrinnen lässt. Diese innere Dynamik trägt die Form des Sonetts.
"Louis Capet" ist meiner Meinung nach kein Sonett, sondern eine in die Schablone des Sonetts (fünfhebige Zeilen, zwei Quartette gefolgt von zwei Terzetten mit entsprechender Reimfolge) gepresste Erzählung. Der Text läuft wie Prosa linear von Anfang bis Ende durch, alles ist expressiv und drastisch geschildert, aber frei von Metaphern, vorhersehbar und ohne jegliche Spannung einer inneren Dynamik, welche die Form des Sonetts ausmacht.
Natürlich unterschieden und unterscheiden sich immer Freunde und Feinde des Sonetts. Deshalb zum Schluss ein sonett-kritisches Gedicht von Robert Gernhardt, ausgerechnet in Sonettform geschrieben.
Sonette find ich sowas von beschissen,
so eng, rigide, irgendwie nicht gut;
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,
dass wer Sonette schreibt. Dass wer den Mut
hat, heute noch so'n dumpfen Scheiß zu bauen;
allein der Fakt, dass so ein Typ das tut,
kann mir in echt den ganzen Tag versauen.
Ich hab da eine Sperre. Und die Wut
darüber, dass so'n abgefuckter Kacker
mich mittels seiner Wichserein blockiert,
schafft in mir Aggressionen auf den Macker.
Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.
Ich tick es echt nicht. Und wills echt nicht wissen:
Ich find Sonette unheimlich beschissen.
Als Gast in dem neuen Büchermagazin, welches unter dem Namen "Druckfrisch" Anfang 2003 erstmals gesendet wurde, steuerte der Dichter Robert Gernhardt in jeder Ausgabe ein neues Sonett zur aktuellen Lage der Nation bei. Er war also selbst ein "abgefuckter Kacker" und "Arschloch".
Eigentlich ist es egal, was man von der Form des Sonettes hält und in welchem Stil man schreibt, aber ich persönlich denke schon: Wer kein gutes Sonett zustande bringen kann, dem fehlt im Grunde noch etwas zum guten Dichter.
© Ralf Schauerhammer
I weep for Adonais—he is dead!
Oh, weep for Adonais! though our tears
Thaw not the frost which binds so dear a head!
And thou, sad Hour, selected from all years
To mourn our loss, rouse thy obscure compeers,
And teach them thine own sorrow, say: "With me
Died Adonais; till the Future dares
Forget the Past, his fate and fame shall be
An echo and a light unto eternity!"
Die erste Strophe des Gedichtes
,,Adonais - Eine Elegie auf den Tod von John Keats“
von Percy Bysshe Shelley im Original und eine Nachdichtung von mir
Nachdichtung
Ich weine um Adonis – der gegangen!
Oh, weint um ihn! Obwohl die Tränen nicht
zu neuem Leben wärmen Haupt und Wangen!
Und legt, ihr Trauerstunden, das Gewicht,
den der Verlust mir bringt, in mein Gedicht,
und lehrt mich Stund' um Stunde mit der Zeit,
dass der Trauer Stimme zu mir spricht:
"Er ist für Zukunft und Vergangenheit
ein Echo und ein Licht bis in die Ewigkeit!"
Wie der Name (englisch: "Spencerian stanza") sagt, wurde die Spencerstrophe von dem Dichter Edmund Spencer, einem Zeitgenossen William Shakespeares, erfunden, bzw. publik gemacht. Die Form ist komplex und unterstützt unterschiedliche Phrasierungen, hat aber gleichzeitig, durch die besondere Form der Schlusszeile, eine deutliche Geschlossenheit.
Die Strophe besteht aus neun Zeilen, von denen die ersten acht jambische Fünfheber sind, die letzte Zeile ist ein Alexandriner, d.h. ein jambischer Sechsheber mit Zäsur nach dem dritten Versfuß. Es kommen nur drei Reime vor, und zwar in folgender Anordnung ABABBCBCC. Man kann sich die Strophe als Achtzeiler mit einer angehängten Schlusszeile vorstellen, wobei der Achtzeiler aus den beiden Vierzeilern ABAB und BCBC im Kreuzreim besteht, die durch den Paarreim BB eng miteinander verwoben sind. Die gleiche Bindungsbrücke entsteht am Ende durch den Paarreim CC mit dem Alexandriner.
Im Deutschen wurde diese Form nicht heimisch, und auch im Englischen wurde sie nur von wenigen Dichtern der "Romantik" aufgegriffen, z.B. von George Gordon Byron, Percy Bysshe Shelley, John Keats.
Die Herkunft ist unklar. Vielleicht hat Edward Spencer sie erfunden. Der bisweilen behauptete Zusammenhang zur Form der Stanze erscheint mir nicht plausibel und kommt vielleicht daher, dass das englische Wort "stanza" für Strophe missverstanden wurde. Reimschema und Alexandriner legen eine Anregung durch eine der im Französischen existierenden Balladenformen nahe, wofür ich jedoch auch keinen Belegt finden konnte.
Josef Raith charakterisierte die Spencerstrophe als "kunstvoll gegliederte Strophe, in der sich der ganze Zauber einer längst versunkenen Welt… anschaulich und eindrucksvoll entfalten konnte."
Aber vielleicht kann man die Strophenform, die ursprünglich gerne für epische Gedichte verwendet wurde, zu neuem Leben erwecken, wie ich es z.B. im folgenden Gedicht versuchte.
Die Diagnose
Im Grunde hatte er es schon gewusst,
doch trotzdem hat der Arzt ihn aufgeregt;
er warf sich lautstark vor ihm in die Brust
und hat die Zweifel – fast – hinweggefegt.
Dann hat die Frau ihn einfach nur gepflegt,
in liebevoller Selbstverständlichkeit;
sein Widerstand hat langsam sich gelegt
und schließlich war er für den Weg bereit:
Der Styx ist jederzeit zu nahe und noch weit.
© Ralf Schauerhammer
Der Begriff Stabreim wird für eine Alliteration, d.h. das Verwenden des gleichen Anfangslautes benachbarter betonter Stammsilben, des altgermanische Verses verwendet. Heute wird Stabreim in dieser Form nicht mehr in der Dichtung verwendet, Alliterationen aber schon.
Überhaupt mag man im Deutschen Alliterationen gerne, und sie kommen in vielen Ausdrücken vor, wie z.B.: dumm und dämlich, frank und frei, Feuer und Flamme, ganz und gar, Haus und Hof, Kind und Kegel, klipp und klar, kurz und knapp, kreuz und quer, Leib und Leben, müde und matt, Wind und Wetter. Auch in Redensarten wie: zwischen Baum und Borke, Nacht-und-Nebel-Aktion und auch in der Werbung: Milch macht müde Männer munter, Geiz ist geil.
Der Stabreim bestand in der germanischen Verszeile aus drei Wiederholungen des gleichen Lautes, zum Beispiel beginnen in der (ins Neuhochdeutsche übertragen) Zeile "Hildebrand und Hadubrand, zwischen Heeren zweien" die ersten drei betonten Silben mit "H", während die letzte in der Stabreimzeile immer mit einem anderen Laut, hier mit "Z", begann. Im Laufe des 9. Jahrhundert verschwand der Stabreim und der Vers mit Endreim setzte sich durch.
Der Komponist Richard Wagner griff in seinen Werken den Stabreim auf, jedoch nicht in der korrekten alten Form und oft übertrieb er es mit den Alliterationen so, dass die Texte fast komisch wirken, wie "Wer so die Wehrlose weckt, dem ward, erwacht, sie zum Weib!" in Walküre und
"Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala weialaweia!" Rheingold. Diese Form des Stabreims wurde von anderen Dichter nicht aufgegriffen.
Im Freien Vers hingegen, erscheint die Alliteration wieder häufig als sprachliches Strukturelement. In Heinrich Heines Gedicht "Sonnenuntergang" finden sich z.B. die Alliterationen: "Ein traurig todblasses Antlitz... schaut nach dem Scheidenden, schmerzlich...Böse, zischelnde Zungen…" Aber vom Freien Vers einen Bogen zum germanischen Stabreim zu schlagen, wie man es bisweilen Anfang des letzten Jahrhunderts tat, scheint mir doch zu gewagt.
© Ralf Schauerhammer
Stanze
Denn er war unser! Mag das stolze Wort
Den lauten Schmerz gewaltig übertönen!
Er mochte sich bei uns, in sicherm Port,
Nach wildem Sturm zum Dauernden gewöhnen.
Indessen schritt sein Geist gewaltig fort
Ins Ewige des Wahren, Guten Schönen,
Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine,
Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.
Aus Johann Wolfgang Goethes "Epilog zu Schillers Glocke"
Die Stanze ist eine Übertragung der Oktave aus dem Italienischen und hat im Deutschen entsprechend des "Endecasillabi" der "Ottava rima" Zeilen aus fünfhebigen Jamben mit weiblicher Endung. Die Reimfolge besteht aus drei Kreuzreimen, gefolgt von einem abschließenden Paarreim (abababcc). Friedrich Schiller beschrieb die Form in einem Distichon folgendermaßen:
Stanze, dich schuf die Liebe, die zärtlich schmachtende – dreimal
Fliehest du schamhaft und kehrst dreimal verlangend zurück.
Da im Deutschen weniger Reimworte existieren, werden statt rein weiblichen Kadenzen oft männliche verwendet, meist für den zweiten Kreuzreim, oft auch für den ersten (wie im obigen Beispiel von Goethe) und manchmal sind sogar alle Kadenzen männlich.
Entscheidend für die Einführung und Verbreitung der Stanze im Deutschen war Johann Wolfgang Goethe. Obwohl er diese Form schon vor seiner Italienreise kennengelernt hatte, griff er sie erst nach der Hochphase der Weimarer Klassik auf, wahrscheinliche erstmals in der "Zueignung" zur Faust:
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
Ihr drängt euch zu! Nun gut, so mögt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Fortan sprudeln Stanzen geradezu aus ihm hervor. Diese Form schien ihm nun für festliche und gedankentiefe Gedichte besonders geeignet und wird von vielen anderen Dichtern, insbesondere in der Romantik, aufgegriffen. Jedoch nach kurzem Höhepunkt verwenden (seit Mitte des 19. Jahrhunderts) immer weniger Dichter diese schöne Form.
© Ralf Schauerhammer
Neues Leben
Es will der Tag vor Freude überschäumen,
die junge Sonne küsst den Morgentau
und weckt die Keime aus den Winterträumen.
Noch gestern war die Welt so kalt und grau,
doch ist ein Wunder über Nacht geschehen.
Die junge Sonne küsst den Morgentau,
dass buntgefärbte Wangen ihm entstehen
und nun in märchenhaften Farben spielen.
Es ist ein Wunder über Nacht geschehen,
als Sternenstäubchen sanft hernieder fielen,
dass alte Nebelsorgen aus den Tälern schwanden
und nun in märchenhaften Farben spielen.
Der lange Winter ist jetzt überstanden:
Die junge Sonne küsst den Morgentau!
Dass alte Nebelsorgen aus den Tälern schwanden,
macht mir den Himmel endlich hell und blau.
Es will der Tag vor Freude überschäumen,
die junge Sonne küsst den Morgentau
und weckt die Keime aus den Winterträumen.
Die Terzanelle ist eine junge Strophenform, welche im Wesentlichen aus einer Terzinen-Strophe besteht, aber zusätzlich, ähnlich der Villanelle, Refrain-Zeilen aufweist. Und zwar ist, genau wie bei der Villanelle, die erste und dritte Zeile der ersten Strophe jeweils ein Refrain. Diese Zeilen werden jedoch nur in der vierzeiligen Schlussstrophe als zweite und vierte Zeile wiederholt, und nicht, wie in der Villanelle abwechselnd in allen Folgestrophen. Dafür wird jedoch die zweite Zeile jeder Strophe in der folgenden Strophe als dritte Zeile wiederholt. Das Metrum der Terzanelle sind fünfhebige Jamben.
Der Erfinder der Terzanelle ist Lewis Turco, der 1965 folgende Terzanelle veröffentlichte.
Terzanelle in Thunderweather
This is the moment when shadows gather
under the elms, the cornices and eaves.
This is the center of thunderweather.
The birds are quiet among these white leaves
where wind stutters, starts, then moves steadily
under the elms, the cornices, and eaves–
these are our voices speaking guardedly
about the sky, of the sheets of lightning
where wind stutters, starts, then moves steadily
into our lungs, across our lips, tightening
our throats. Our eyes are speaking in the dark
about the sky, of the sheets of lightening
that illuminate moments. In the stark
shades we inhibit, there are no words for
our throats. Our eyes are speaking in the dark
of things we cannot say, cannot ignore.
This is the moment when shadows gather,
shades we inhibit. There are no words, for
this is the center of thunderweather.
© Ralf Schauerhammer
Die Terzine gehört zu den romanischen Strophenformen und ist eine dreizeilige Strophe, die aus fünffüßigen (jambischen) steigenden Versen besteht. Sie wird im Grundschema des Sonettenterzetts gebildet, bei dem der umschlungene Vers des ersten Terzetts zum umschlingenden des zweiten Terzetts wird. Durch immer weitere Reimverschränkung ist das unendlich fortsetzbar.
Schema: aba bcb cdc ded efe ...
Von Dante in "la divina commedia" in höchster Meisterschaft gestaltet. In deutscher Dichtung erst nach Dantes Wiederentdeckung in der Romantik bei Tieck, Rückert, Platen, mit bes. Vorliebe bei Chamisso. In neuerer Zeit wieder aufgenommen von George und Hofmannsthal ("Ballade des äußeren Lebens").
Beispiel:
Salas y Gomez
Salas y Gomez raget aus den Fluten
Des stillen Meers, ein Felsen kahl und bloß,
Verbrannt von scheitelrechter Sonne Gluten.
Ein Steingestell ohn`alles Gras und Moos,
Da sich das Volk der Vögel auserkor
Zur Ruhstatt im bewegten Meeresschoß.
So stieg von unsern Blicken sie empor...
(Chamisso)
aus: Ivo Braak, Poetik in Stichworten, 3. Auflage, 1969, Hirt-Verlag, Kiel
Die ursprüngliche Strophenform (it. terza = Dreizeiler) setzte sich aus drei 11-silbligen Versen zusammen. Bei denen bildet der zweite Vers jeder Strophe den Reim für den ersten und dritten Vers der folgenden Strophe.
aba bcb cdc usw;
der abschließende Vers griff den Reim der letzten Strophe auf (xyx yzy-z).
Italienische Dichter bevorzugten den Endecasillabo; englische Nachbildungen verwandten den vers commun. Neuere deutsche Nachdichtungen benutzten entweder Verse nach dem Vorbild des italienischen Endecasillabo mit durchgehend weiblichen Kadenzen oder auftaktige 5-hebige, alternierende Verse im Jambus mit stumpfen Kadenzen (Zehnsilbler) bzw. mit klingenden Kadenzen (Elfsilbler).
Die einzelnen Strophen bilden meist keine syntaktische Einheit. Die Verse sind fortlaufend ohne Zäsuren oder Dihäresen.
Versmaß
xXxXxXxXxXx a
xXxXxXxXxXx b
xXxXxXxXxXx a
xXxXxXxXxXx b
xXxXxXxXxXx c
xXxXxXxXxXx b
xXxXxXxXxXx c
xXxXxXxXxXx d
xXxXxXxXxXx c
Herbsttage bei Oma
Der letzte Strandkorb kommt ins Winterlager
und Vater hat nun Zeit zum Bau von Drachen.
Die Oma hört die guten alten Schlager,
zerkleinert Äpfel, um Kompott zumachen.
Ein Kranichzug begibt sich auf die Reise
und wird erst abends eine Pause machen.
Im Hause riechst nach süßer Kinderspeise.
Und warm ist schon die alte Feuerstelle.
Die Oma zaubert wundersamer Weise
im Ofen eine Apfel-Mandel-Welle.
© Ilona Pagel
Le premier jour du mois de Mai
Fut le plus beau jour de ma vie.
Le beau dessein que je formai
Le premier jour du mois de Mai!
Je vous vis, et je vous aimai.
Si ce dessein vous plut, Sylvie,
Le premier jour du mois de Mai
Fut le plus beau jour de ma vie.
Als "König der Triolette" bezeichnetes Triolett von Jacques de Ranchin (1616 - 1692)
Der erste Tag im Monat Mai
Ist mir der glücklichste von allen.
Dich sah ich, und gestand dir frei,
Den ersten Tag im Monat Mai,
Dass dir mein Herz ergeben sei.
Wenn mein Geständnis dir gefallen,
So ist der erste Tag im Mai
Für mich der glücklichste von allen.
Nachdichtung von Friedrich Hagedorn(1708-1754)
Das Triolett entstand im 13. Jahrhundert in Frankreich, ursprünglich als Lied, worauf die vielen Refrain-Zeilen hinweisen, denn in der nur achtzeiligen Strophe lauten die erste, vierte und siebte Zeile gleich, und zusätzlich die zweite und achte Zeile, d.h. es kommen überhaupt nur drei Zeilen vor, die kein Refrain sind. Es kommen, wie bei der Villanelle, nur zwei Reime vor, wobei alle ungeraden Zeilen den ersten Reim a tragen und die gerade den zweiten Reim b. Das Reimschema kann folgendermaßen dargestellt werden: ABaAabAB. Dabei sind Refrains durch Großbuchstaben markiert.
In Deutschland pflegen diese Strophenform die Anakreontiker und vor allem die Romantiker. Das verwendete Metrum ist hauptsächliche der vierhebig Jambus, aber auch der Trochäus kommt vor, wie im obigen Triolett von Jacobs, und bisweilen werden auch Trioletts in drei-, bzw. fünfhebige Zeilen geschrieben.
© Ralf Schauerhammer
Lied und Gebilde
Mag der Grieche seinen Ton
Zu Gestalten drücken,
An der eignen Hände Sohn
Steigern sein Entzücken;
Aber uns ist wonnereich.
In den Euphrat greifen
Und im flüss'gen Element
Hin und wider schweifen.
Löscht ich so der Seele Brand,
Lied, es wird erschallen;
Schöpft des Dichters reine Hand,
Wasser wird sich ballen.
Johann Wolfgang Goethe
Die Vagantenstrophe ist eine sehr alte und in der deutschen Dichtung sehr häufig gebrauchte Form, welche auch heute noch quicklebendig ist. Sie ist ein Vierzeiler und besteht ihrer reinen Form aus trochäischen Zeilen, wobei die erste und dritte Zeile vierhebig ist mit männlicher Kadenz, und die zweite und vierte Zeile dreihebig mit weiblicher Kadenz. Die vier Zeilen stehen im Kreuzreim.
Die Form ist jedoch recht flexibel und erlaubt auch einen Auftakt, wodurch im Grunde eine jambische Vagantenstrophen-Variante entsteht.
Das Kind am Brunnen
Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht!
Doch die liegt ruhig im Schlafe.
Die Vöglein zwitschern, die Sonne lacht,
Am Hügel weiden die Schafe.
Frau Amme, Frau Amme, das Kind steht auf,
Es wagt sich weiter und weiter!
Hinab zum Brunnen nimmt es den Lauf,
Da stehen Blumen und Kräuter.
Frau Amme, Frau Amme, der Brunnen ist tief!
Sie schläft, als läge sie drinnen!
Das Kind läuft schnell, wie es nie noch lief,
Die Blumen locken's von hinnen...
Friedrich Hebbel
Wie geht das geht wohl aus? Das ganze Gedicht, welches mir beim Vortragen schon viel Freude macht hat, ist im Internet leicht zu finden.
Bisweilen werden auch zwei Vagantenstrophen zusammengefasst und ergeben eine achtzeilige Strophe, z.B. das folgende Gedicht von Christian Morgenstern.
Der Droschkengaul
Ich bin zwar nur ein Droschkengaul, –
doch philosophisch regsam;
der Freß-Sack hängt mir kaum ums Maul,
so werd ich überlegsam.
Ich schwenk ihn her, ich schwenk ihn hin,
und bei dem trauten Schwenken
geht mir so manches durch den Sinn,
woran nur Weise denken.
Ich bin zwar nur ein Droschkengaul, –
doch sann ich oft voll Sorgen,
wie ich den Hafer brächt ins Maul,
der tief im Grund verborgen.
Ich schwenkte hoch, ich schwenkte tief,
bis mir die Ohren klangen.
Was dort in Nacht verschleiert schlief,
ich könnt es nicht erlangen.
Ich bin zwar nur ein Droschkengaul, –
doch mag ich Trost nicht missen
und sage mir: So steht es faul
mit allem Erdenwissen;
es frißt im Weisheitsfuttersack
wohl jeglich Maul ein Weilchen,
doch nie erreichts – o Schabernack –
die letzten Bodenteilchen.
Der Charakter der Vagantenstrophe ist so stark durch den Wechsel von vierhebigen und dreihebigen Verszeilen und dem Wechsel von männlicher zu weiblicher Kadenz geprägt, dass auch eingestreute unregelmäßige Füllungen dieser Form nicht schaden, ja sie sogar bereichern, wenn ein Meister wie Heinrich Heine diese Form handhabt.
Die Welt ist dumm, die Welt ist blind,
Wird täglich abgeschmackter!
Sie spricht von dir, mein schönes Kind:
Du hast keinen guten Charakter.
Die Welt ist dumm, die Welt ist blind,
Und dich wird sie immer verkennen;
Sie weiß nicht, wie süß deine Küsse sind,
Und wie sie beseligend brennen.
© Ralf Schauerhammer
Dein Blick ist wie ein kühler See
Dein Blick ist wie ein kühler See,
doch kühlt er meine Schmerzen nicht.
Es brennt mein Herz, wenn ich dich seh.
Die Brust umschließt mein Liebesweh,
ein Feuer, welches nie erlischt.
Dein Blick ist wie ein kühler See.
Sogar die schönste Azalee
verblasst vor deinem Angesicht.
Es brennt mein Herz, wenn ich dich seh.
Du meine schöne Lilofee,
ich fürchte fast, du siehst mich nicht.
Dein Blick ist wie ein kühler See.
Ach, du geliebte Schattenfee,
was brach so früh dein Augenlicht?
Es brennt mein Herz, wenn ich dich seh.
Die Wangen zart wie neuer Schnee.
Der Tod brach deine Schönheit nicht.
Dein Blick ist wie ein kühler See.
Es brennt mein Herz, wenn ich dich seh.
Die Villanelle ist eine recht alte und formal sehr stark strukturierte Gedichtform. Ursprünglich kam die Villanelle durch den Komponisten Jakob Regnart nach Deutschland, der 1576 "Kurtzweilige teutsche Lieder zu dreien Stimmen nach Art der neapolitanischen oder welschen Villanellen" veröffentlichte. Diese dreistimmigen Lieder bestanden aus Terzetten, die in jeder Strophe jeweils den gleichen Reim hatten, also aaa bbb ccc…
Die französische Form der Villanelle, die sich dann durchsetzte, entstand etwas später. Als erste Villanelle gilt das Gedicht " J’ai perdu ma tourterelle" von Jean Passerat, der von 1534 bis 1602 lebte. Es lautet folgendermaßen:
J’ai perdu ma tourterelle;
Est-ce point celle que j’oy?
Je veux aller après elle.
Tu regrettes ta femelle,
Hélas! aussi fais-je moy.
J’ai perdu ma tourterelle.
Si ton amour est fidelle,
Aussi est ferme ma foy;
Je veux aller après elle.
Ta plainte se renouvelle,
Toujours plaindre je me doy;
J’ai perdu ma tourterelle.
En ne voyant plus la belle,
Plus rien de beau je ne voy;
Je veux aller après elle.
Mort, que tant de fois j’appelle,
Prends ce qui se donne à toy!
J’ai perdu ma tourterelle;
Je veux aller après elle.
Das gesamte Gedicht enthält nur zwei Reime a und b, und zwar tragen über alle Strophen hinweg alle Zeilen außer der jeweils zweiten Zeile den ersten Reim a und die jeweils zweiten Zeilen den zweiten Reim b. Zusätzlich enthalten die Strophen Refrain-Zeilen, d.h. Zeilen, die insgesamt wörtlich wiederholte werden. Die erste und dritte Zeile der ersten Strophe bilden die beiden Refrain-Zeilen, welche abwechselnd am Ende der folgenden Strophen wiederholt werden und am Ende der letzten Strophe gemeinsam das Gedicht beschließen. Es ergibt sich das Schema: A1bA2/abA1/abA2/abA1/abA2/abA1A2, wobei die auf den Rein a endenden Refrains durch "A1" und "A2" gekennzeichnet sind. Das Metrum ist über alle Strophe gleich, aber nicht festgelegt, am häufigsten kommen fünfhebig Jamben vor und die Kadenzen sind meist männlich.
Die Villanelle geriet im 18. Jahrhundert in Vergessenheit, und wurde erste im 19. Jahrhundert von französischen Dichtern wieder entdeckt und anschließend auch im englischen Sprachraum verwandt. Im Deutschen wurden kaum Villanellen geschrieben, was wahrscheinlich mit der Beschränkung auf nur zwei Reime zusammenhängt, die sich im deutschen ohne Zwang nur schwer verwirklichen lässt.
© Ralf Schauerhammer
Der Lindenbaum
Am Brunnen vor dem Thore
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt’ in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort;
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort.
Ich mußt’ auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab’ ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht.
Und seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
Hier findst Du Deine Ruh’!
Die kalten Winde bliesen
Mir grad’ in’s Angesicht;
Der Hut flog mir vom Kopfe,
Ich wendete mich nicht.
Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort,
Und immer hör’ ich’s rauschen:
Du fändest Ruhe dort!
Wilhelm Müller
Charakteristisch für die Volksliedstrophe ist Kürze, Einfachheit und fließender Rhythmus über einem jambischen Metrum und der obligatorische Reim. Die Zeilen sind kurz und enthalten höchstens vier Hebungen. Es gibt viele Varianten der Volksliedstrophenform, welche vor allem in der Romantik erfunden wurden. Wesentlich sind jedoch zwei Formen, deren Wurzeln bis ins Mittelalter reichen.
Die eine ist die vierzeilige Strophe im Paarreim aus vierhebigen Jamben mit männlicher Kadenz, deren Ursprung auf eine lateinische Hymnenstrophe zurückführt und über Kirchenlieder in die weltliche Lyrik kam. Ein Beispiel ist Joseph von Eichendorffs
Nachtlied
Vergangen ist der lichte Tag,
Von ferne kommt der Glocken Schlag;
So reist die Zeit die ganze Nacht,
Nimmt manchen mit, der's nicht gedacht...
Das einleitende Gedicht zeigt die zweite Form des Volksliedes, es handelt sich dabei um die Volksliedstrophe im engeren Sinn. Diese Strophe besteht aus dreihebigen Jamben im Kreuzreim mit abwechselnd weiblicher und männlicher Kadenz. Bisweilen werden in dieser Form auch nur die zweite und vierte Zeile gereimt, obwohl der Kreuzreim eigentlich passender ist. Die Wurzel dieser Form ist der Hildebrandston.
© Ralf Schauerhammer